Überschwemmungen in Libyen:UN warnen vor weiteren möglichen Dammbrüchen

Lesezeit: 3 min

Menschen stehen auf der zerstörten Autobahn zwischen Derna und Sousse im Osten Libyens. (Foto: Ibrahim Hadia al-Majbri/dpa)

Während in den Trümmern von Derna weiter nach Opfern der Überschwemmung gesucht wird, sorgen sich die Vereinten Nationen wegen der Lage an zwei Dämmen. Ein tödlicher Autounfall mit griechischen Nothelfern überschattet den Einsatz.

In Libyen sind eine Woche nach der verheerenden Sturm- und Dammbruchkatastrophe womöglich zwei weitere Dämme in Gefahr. Das UN-Nothilfebüro OCHA äußerte am Sonntagabend Sorge über den Dschasa-Damm zwischen der teils zerstörten Stadt Derna und Bengasi sowie den Kattara-Damm nahe Bengasi. Berichte über die Lage seien widersprüchlich. Nach Angaben der Behörden seien beide Dämme in gutem Zustand und funktionierten. Am Dschasa-Damm würden nach Angaben der Behörden Pumpen installiert, um den Druck von der Staumauer zu nehmen, so OCHA.

Zwei Dammbrüche hatten in der Nacht zum vergangenen Montag in der Hafenstadt Derna schlimmste Zerstörungen angerichtet. Tausende Menschen sind ums Leben gekommen, Tausende werden noch vermisst. Genaue Zahlen haben die Behörden bislang nicht. Die Stadt hatte vor der Katastrophe etwa 100 000 Einwohner.

Sorge vor Cholera in Libyen
:"Wir bitten die Menschen dringend, sich den Brunnen in Derna nicht zu nähern"

Grundwasser, das mit Leichen, Tierkadavern, Müll und chemischen Substanzen verschmutzt ist: Davor warnen Behörden, doch Dutzende Kinder sind offenbar bereits erkrankt. Helfer sprechen von chaotischen Zuständen.

Die Rettungsarbeiten wurden am Sonntag durch einen schweren Unfall überschattet: Mindestens vier griechische Nothelfer und drei Angehörige einer libyschen Familie kamen dabei nach Angaben der Behörden in Ostlibyen ums Leben. 19 griechische Retter waren auf dem Weg nach Derna, als ihr Kleinbus mit dem Wagen einer fünfköpfigen Familie zusammenstieß. 15 Personen wurden teils schwer verletzt. Der griechische Generalstab bestätigte am späten Sonntagabend zunächst drei Todesfälle. Zwei weitere Mitglieder des Rettungsteams würden vermisst, hieß es in einer Mitteilung auf Facebook.

Die Verzweiflung bei den Bewohnern ist weiter groß. Zehntausende Menschen warten immer noch auf Nachricht über ihre vermissten Angehörigen und auf Hilfe in der Not. Nach Angaben einer BBC-Reporterin hängt der durchdringende Geruch von verwesenden Leichen über Derna. Am Strand türmten sich Betonteile, Reifen, Kühlschränke und Autos, die mit Wucht ins Meer gespült und dann wieder angeschwemmt worden waren. Aus den Schuttbergen würden immer noch Tote geborgen.

In Derna läuft die Suche nach Verschütteten weiter. Offenbar konnten am Wochenende noch Menschen lebend aus den Trümmern gerettet werden. (Foto: Yousef Murad/dpa)

Nach Angaben von Taufik al-Schukri, dem Sprecher des Roten Halbmonds, sind am Samstag aus eingestürzten Gebäuden auch noch Überlebende geborgen worden. Wie viele, konnte er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur nicht sagen. Die Opferzahlen sind auch eine Woche nach der Katastrophe weiter unklar. Das UN-Nothilfebüro sprach am Wochenende zunächst von etwa 11 300 Toten in Derna und weiteren 10 100 Vermissten. Zudem seien 170 Todesfälle aus anderen Regionen im Osten des Landes gemeldet worden. OCHA bezog sich auf den Roten Halbmond, wie Rotkreuzgesellschaften in muslimischen Ländern oft heißen. Der Sprecher des Roten Halbmonds sagte aber, er wisse nicht, woher die Zahlen stammten. In einer späteren Version des Lageberichts ließ OCHA diese Angaben wieder fallen. Den Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge wurden bis Ende der Woche etwa 4000 Todesopfer identifiziert und mit Totenscheinen registriert.

Zwar treffen in dem armen, vom jahrelangen Bürgerkrieg gezeichneten nordafrikanischen Land über den Flughafen Bengasi immer mehr Hilfsgüter ein. Aber von dort ins Katastrophengebiet sind es Hunderte Kilometer. Viele Straßen und Brücken sind zerstört und Konvois mit Hilfsgütern bleiben in kilometerlangen Staus stecken, wie Caroline Holt, globale Einsatzleiterin der Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften, auf der Plattform X berichtete. Die Verteilung von Essen, Medikamenten, Planen und anderem bleibt schwierig.

Ägypten schickt Flugzeugträger als schwimmendes Krankenhaus

Helfer dringen nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen darauf, dass die Einsätze besser koordiniert werden. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) verteilte in Kooperation mit den Gemeinden in den Orten Shahat und al-Bayda Babynahrung, Zelte, Generatoren, Decken und Wasser, wie der deutsche Botschafter in Libyen, Michael Ohnmacht, auf X berichtete.

Auch das Nachbarland Ägypten versucht, vor Ort zu helfen - und hat einen Hubschrauberträger zur medizinischen Versorgung von Opfern der Überschwemmungskatastrophe geschickt. Wie der staatliche Informationsdienst Ägyptens bekannt gab, kam der Hubschrauberträger an der libyschen Küste an, wo er die Einsatzkräfte als schwimmendes Krankenhaus unterstützen soll. Auch die Online-Zeitung The Libya Observer berichtete unter Berufung auf ägyptische Medien über die Ankunft. Demnach verfügt das Schiff über eine 900 Quadratmeter große Klinik samt modernen Operationssälen.

Durch schmutziges Trinkwasser breiten sich Krankheiten aus

Nach Schätzungen der UN-Organisation für Migration (IOM) haben insgesamt mehr als 40 000 Menschen ihre Bleibe verloren. Die Zahl liege wahrscheinlich deutlich höher. In vielen der schwer getroffenen Gebiete seien noch keine Zählungen möglich gewesen. Aus Sorge über die Ausbreitung von Krankheiten wie Cholera wies die Regierung in der Hauptstadt Tripolis die Wasserwerke an, Trinkwasser zu verteilen. Bis Samstag wurden etwa 150 Durchfallerkrankungen durch verschmutztes Trinkwasser gemeldet, sagte der Leiter des Zentrums für Krankheitsbekämpfung, Haidar al-Sajih.

Der libysche Staatsanwalt Al-Sedik al-Sur hat wegen der Dammbrüche Ermittlungen aufgenommen. Die Dämme sollen Risse gehabt haben, und es soll Geld für die Instandhaltung bereitgestellt worden sein. Der Staatsanwalt will den Verbleib des Geldes nun klären, wie er sagte.

Die politische Lage in Libyen ist kompliziert. Zwei verfeindete Regierungen - eine im Osten des Landes, die andere mit Sitz im Westen - kämpfen um die Macht. Seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 streiten Konfliktparteien um die Herrschaft, es herrscht Bürgerkrieg.

© SZ/dpa/infu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungWetterextreme
:Ein Kreislauf zwischen Klimakrise, Armut und Konflikt

Libyen erlebt bereits, was anderen Staaten der Welt erst bevorsteht: Katastrophen als direkte Folge der Erderwärmung.

Kommentar von Christoph von Eichhorn

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: