Gefahr auf der Skipiste:"Lawinen sind einfach nicht berechenbar"

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Retter im Schnalstal in Südtirol, wo am Samstag drei Menschen bei einem Lawinenabgang starben. (Foto: AP)

Drei Skifahrer sind in den Alpen ums Leben gekommen, obwohl sie auf gesicherten Pisten unterwegs waren. Ein Experte vom Deutschen Skiverband erklärt, wie schnell sich die Lawinensituation ändern und was man gegen die Gefahr tun kann.

Interview von Titus Arnu

In den Alpen sind am vergangenen Wochenende fünf Skifahrer bei Lawinenabgängen ums Leben gekommen - drei von ihnen wurden auf einer gesicherten Skipiste von den Schneemassen begraben. Am Schnalstaler Gletscher in Südtirol verschüttete eine Lawine am Samstag mehrere Personen, die auf der Talabfahrt unterwegs waren, eine 35 Jahre alte Frau aus Thüringen, ihre siebenjährige Tochter sowie ein siebenjähriges Mädchen aus Nordrhein-Westfalen überlebten das Unglück nicht. Die Betreiber des Skigebiets hatten die Piste als sicher eingestuft. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Bozen, wie es zu dem tragischen Unfall kommen konnte - und Skifahrer fragen sich, ob freigegebene Pisten wirklich sicher sind. Andreas König, Sicherheitsexperte des Deutschen Skiverbands, erklärt, wie hoch die Lawinengefahr in Skigebieten tatsächlich ist.

SZ: Was können Betreiber von Skigebieten im Vorfeld tun, um Pisten lawinensicher zu machen?

Zunächst mal muss man sagen, dass es hundertprozentige Sicherheit im Gebirge nie geben kann. Lawinen sind im Bereich des Skisports die unberechenbarste Gefahr überhaupt. Es kann sein, dass an der Stelle, an der ich stehe, keine Lawinengefahr besteht, und drei Meter weiter ist es hochgefährlich. Trotzdem tun die Betreiber einiges, um Lawinenabgänge auf Pisten zu verhindern, das ist auch ihre Pflicht. Die Skipisten gelten offiziell als "gesicherter Bereich", alles was außerhalb der markierten und präparierten Pisten liegt, gilt als freier Raum. Im Vorfeld beurteilen Lawinenwarndienste die allgemeine Lage und geben täglich einen Bericht heraus, der die Gefahr auf einer Skala von 1 bis 5 einschätzt. Am Wochenende galt für die Region in Südtirol, wo das Lawinenunglück passiert ist, die Warnstufe 3, erhebliche Gefahr.

Lawinenwarndienste geben grobe regionale Empfehlungen ab und sind hauptsächlich für Skitourengeher relevant, die sich im freien Gelände bewegen. Was sagen diese Prognosen für die Piste aus?

Richtig, diese Gefahrenskala zeigt lediglich eine Tendenz an - eine Einschätzung der Lawinensituation vor Ort kann der Warndienst nicht ersetzen. In Deutschland gibt es 33 regionale Lawinenkommissionen, die vor Ort die spezifischen Gefahren einschätzen - bestehend aus Bergwachtlern, Liftbetreibern, Bergführern, die das jeweilige Gelände ganz genau kennen. Aufgrund der Lawinenwarnstufe, des Wetterberichts und der Empfehlung der Lawinenkommission entscheiden die Betreiber dann, ob eine Piste geöffnet werden kann oder nicht. In der Schweiz, in Österreich und Italien wird das ähnlich gehandhabt.

Und wenn die Lawinengefahr zu hoch erscheint?

Unter Umständen muss dann im Vorfeld gesprengt werden. In vielen Skigebieten gibt es fest installierte Lawinensprengvorrichtungen, das können Gasdruckanlagen sein oder Lawinensprengbahnen. Mit diesen Anlagen werden in kritischen Zonen nach starken Schneefällen und Windverfrachtungen künstlich Lawinen ausgelöst, um den gesicherten Skibetrieb auf den Pisten möglich zu machen. Besonders gefährdete Passagen, etwa unterhalb von steilen Felshängen und Rinnen, werden stellenweise auch baulich gesichert, durch Schutzmauern und Galerien. Aber eine Garantie gegen Lawinen sind solche Verbauungen auch nicht. Es ist ähnlich wie im Straßenverkehr: trotz Airbags und elektronischer Sicherheitsassistenten gibt es immer wieder tödliche Unfälle.

Kann es passieren, dass sich die Wetterbedingungen im Verlauf eines Tages so stark ändern, dass die Gefahreneinschätzung vom Morgen nicht mehr zutrifft?

Ja, das kommt öfters vor. Wenn es viel schneit, starker Wind aufkommt oder die Temperaturen schwanken, kann im Laufe des Tages die Lawinengefahr steigen, auch im gesicherten Bereich. Dann müssen die Experten vor Ort kurzfristig entscheiden, eine Piste zu sperren.

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Von Titus Arnu

Vor einigen Tagen gab es einen weiteren Lawinenabgang auf eine Piste bei Andermatt in der Schweiz. Dort wurde Kritik laut an der mangelhaften Markierung, die das Lawinenrisiko laut Ansicht von Experten erhöhe. Wo endet genau der gesicherte Bereich eines Skigebietes?

Rein rechtlich ist der Betreiber für den gesicherten Bereich plus zwei Meter neben den Markierungen verantwortlich. Von Fall zu Fall unterscheiden das die Juristen aber unterschiedlich. Wenn neben der Piste zum Beispiel eine Seilwindenverankerung steht oder eine steile Felswand ist, muss auch über den zwei Meter breiten Sturzraum hinaus gesichert werden, etwa mit Fangnetzen.

Wenn eine Lawine von einem weit entfernten Bergkamm auf eine Piste donnert - liegt das dann noch in der Verantwortung des Skigebiets oder ist das "höhere Gewalt"?

Eine Lawine ist generell als höhere Gewalt einzustufen. Ob jemand dafür haftbar zu machen ist, müssen Juristen von Fall zu Fall entscheiden. Sachverständige versuchen nun auch bei dem Unglück im Schnalstal zu klären, ob die Sicherheitsvorkehrungen ausreichend waren. Es ist sehr schwer, so etwas im Nachgang herauszufinden. Gerade bei starken Windverfrachtungen ist es unheimlich kompliziert, die konkrete Gefahr abzuschätzen, da kann man wohl niemandem einen großen Vorwurf machen.

Drei Lawinentote auf einer Piste, dazu kommen noch zwei tote Skitourengeher bei Lawinengängen im Wallis und in den Brenta-Dolomiten - alles an einem Wochenende. Kann man diese Häufung erklären?

So tragisch diese Vorfälle sind: Lawinen sind einfach nicht berechenbar. Momentan ist die Situation besonders am südlichen Alpenkamm sehr tückisch. Es gab dort in den höheren Lagen sehr viel nassen, schweren Neuschnee, dazu kamen starker Wind und schwankende Temperaturen.

Kann man sich denn als Skifahrer auf einer gesicherten Piste überhaupt noch sicher fühlen?

Trotz des Unglücks im Schnalstal würde ich sagen: eindeutig ja. Es wird von Seiten der Betreiber alles dafür getan, dass die Pisten sicher sind. In Deutschland gibt es seit 1967 die Lawinenkommissionen und den Lawinenwarndienst, und seitdem haben wir noch keinen einzigen Lawinentoten auf einer Skipiste zu beklagen.

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