Kriminalitätsstatistik:„Gerast wird immer“: 811 neue Verfahren in Berlin

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Fahrzeugteile liegen nach einem illegalen Autorennen in der Tauentzienstraße. (Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild)

Mal sind es illegale Autorennen oder Protzerei, mal liefern sich Straftäter gefährliche Fluchtfahrten mit der Polizei. Berlin gehört zu den Hotspots beim Thema Raserei.

Von Marion van der Kraats, dpa

Berlin (dpa/bb) - Erlaubt ist auf der Strecke im Berliner Grunewald Tempo 30. Doch der junge Fahrer rast bei regennasser Straße mit bis zu 149 Kilometern pro Stunde über die Havelchaussee. „Ich kenne die Strecke“, ruft er seinem Beifahrer zu, der es mit der Angst zu tun bekommt. Wenig später verliert der 22-Jährige die Kontrolle über den Wagen eines Carsharing-Anbieters - das Auto überschlägt sich mehrfach und landet auf dem Dach. Wie durch ein Wunder werden der Fahrer und einer seiner Beifahrer nur leicht verletzt. Das E-Auto ist jedoch geschrottet - ein Schaden von rund 30.000 Euro.

Knapp elf Monate nach jenem Februartag 2023 soll es nun am Montag (8. Januar) vor dem Amtsgericht Tiergarten zum Prozess gegen den inzwischen 23-Jährigen kommen. Die Anklage wirft ihm illegales Kraftfahrzeugrennen und fahrlässige Körperverletzung vor. Der Fall ist einer von Hunderten, die jährlich auf Berlins Straßen zu beobachten sind. Die Hauptstadt gilt bundesweit als ein Hotspot illegaler Autorennen.

Nach Raserei 811 neue Verfahren

Im vergangenen Jahr hat die Berliner Justiz nach Rasereien insgesamt in 811 Fällen (2022: 755) Ermittlungen eingeleitet. Das sei die zweithöchste Zahl an Verfahren seit einer Gesetzesverschärfung im Jahr 2017, erklärte Oberamtsanwalt Andreas Winkelmann der Deutschen Presse-Agentur. Er leitet eine Spezialabteilung für verbotene Kraftfahrzeugrennen in Berlin. Die meisten Fälle seien im Corona-Jahr 2020 mit 871 Verfahren registriert worden. Ein Jahr zuvor seien es noch 680 gewesen, 2018 lediglich 345.

Insgesamt gab es nach seinen Angaben seit der Gesetzesänderung rund 4300 Verfahren. Etwa 1100 Fälle seien rechtskräftig abgeschlossen. 1812 Verfahren landeten laut Winkelmann in Berlin vor Gericht. Zum Freispruch sei es lediglich in 45 Fällen gekommen. Ebenfalls in 45 Fällen seien die Fahrer im Gefängnis gelandet. Eingestellt wurden 842 Verfahren, meist weil der Fahrer nicht ermittelt werden konnte.

Die meisten Fälle bearbeitet die Amtsanwaltschaft, die als Ermittlungsbehörde kleinere bis mittlere Straftaten verfolgt. Taten, bei denen das Strafmaß über zwei Jahre liegt, werden in der Regel von der Staatsanwaltschaft verfolgt.

Gesetzesverschärfung im Oktober 2017

Im Oktober 2017 wurden verbotene Kraftfahrzeugrennen von einer Ordnungswidrigkeit zur Straftat hochgestuft. Seitdem kann schon die Teilnahme an solchen Rennen mit Haftstrafen geahndet werden. Zuvor gab es nur Geldbußen. Der Paragraf 315d im Strafgesetzbuch sieht bis zu zehn Jahre Gefängnis vor, wenn durch ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen der Tod eines anderen Menschen verursacht wird.

Zuvor hatte der Fall der Ku'damm-Raser bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Im Februar 2016 war dabei in Berlin ein unbeteiligter Fahrer (69) ums Leben gekommen. Mit der strafrechtlichen Bewertung dieses Falls hatte die Hauptstadt juristisches Neuland betreten. Inzwischen sind die beiden Fahrer wegen des illegalen Autorennens rechtskräftig wegen Mordes verurteilt. Zudem entschied der Bundesgerichtshof 2021, dass auch eine Fluchtfahrt vor der Polizei als verbotenes Kraftfahrzeugrennen gelten kann.

„Egal zu welcher Jahreszeit - gerast wird immer“

„Das Gesetz ist gelungen und die Strafandrohung reicht aus“, so Winkelmanns Meinung. Unter den rechtskräftig verurteilten Fahrern seien kaum Wiederholungstäter. Bereits die sofortige Beschlagnahmung des Führerscheins werde von den Tätern - in der Regel sind es Männer - als „einschneidend spürbare Maßnahme“ empfunden. Gleichwohl geht der Amtsanwalt davon aus, dass die Fälle nicht weniger werden.

„Egal zu welcher Jahreszeit - gerast wird immer“, meinte er. Ein Grund dafür seien hochmotorisierte Fahrzeuge, an die auch Fahranfänger viel zu leicht kämen. Zudem führen nach seiner Überzeugung regelmäßige Kontrollen der Polizei zu den Zahlen.

Außerdem nehmen sogenannte Polizeifluchten zu. Rund 40 Prozent aller Fälle machen sie nach Einschätzung der Polizei inzwischen aus, wie Winkelmann berichtet. Hintergrund ist, dass die Fahrer zum Beispiel Drogen im Wagen haben oder betrunken sind. In etwa einem Drittel der Fälle handele es sich um „klassische Stechen“, der Rest seien „Alleinraser“.

© dpa-infocom, dpa:240107-99-516628/2

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