Sie haben ihn. Auch ohne die Gesetzesänderung, die viele seinetwegen forderten. Ein halbes Jahr nach dem Sexualmord an einer Joggerin im badischen Endingen wurde der mutmaßliche Täter vor ein paar Tagen gefasst. Verraten haben den Fernfahrer seine Maut- und Handydaten, überführt hat ihn am Ende seine DNA. Doch bei der Suche geholfen haben Erbgutspuren nicht, auch wenn seit dem Mord immer wieder gefordert wurde, DNA-Daten intensiver zur Verbrecherfahndung zu nutzen, als dies bislang erlaubt ist.
Gleich zwei Morde aus dem Raum Freiburg haben das politische Klima rund um die DNA-Forensik massiv verändert - der Tod der Joggerin sowie der Mord an einer 19-jährigen Studentin kurz zuvor. Beide Taten gelten als aufgeklärt, bei beiden half klassische Kriminalistik, und eine ausgedehntere Nutzung von DNA-Spuren hätte wohl auch nichts gebracht. Dennoch wird weiter gefordert, die Strafprozessordnung zu ändern. Nun will auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zur Innenministerkonferenz Mitte Juni eine entsprechende Vorlage mitbringen. Demnach sollen mithilfe von DNA-Spuren aus Speichel, Blut oder Haaren vom Tatort Aussagen über das Aussehen eines Täters getroffen werden dürfen: über seine Haar- und Augenfarbe, sein ungefähres Alter und seine Herkunft.
Exklusiv Forensik:Die trügerische Sicherheit von DNA-Spuren
Die Polizei will künftig aus DNA-Proben am Tatort auf Hautfarbe und Aussehen von Verdächtigen schließen. Doch das Verfahren birgt große Risiken und ist umstritten.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) unterstützt das Vorgehen, man wolle das Thema auf der nächsten Justizministerkonferenz ansprechen, teilte er der SZ mit. Als treibende Kraft hinter den Gesetzesvorhaben gilt der badische SPD-Politiker Johannes Fechner, in dessen Wahlkreis die beiden Morde geschahen. "Wenn gewisse Merkmale mit einiger Sicherheit aus DNA-Spuren herausgelesen werden können, dann sollte die Polizei diese Informationen auch erhalten", sagte er.
Maas' Ministerium hat selbst bereits einen Gesetzesentwurf zur DNA-Forensik vorgelegt. Demnach sollen künftig "DNA-Beinahetreffer" genutzt werden dürfen. Ermittler dürften dann nicht nur auf die Teilnehmer von Massengentests schließen, sondern auch auf deren Verwandte. Und schließlich gibt es noch einen Gesetzesentwurf aus Bayern: Mit jedem klassischen Fingerabdruck solle auch ein genetischer genommen werden, heißt es darin. Bislang sind DNA-Tests nur erlaubt, wenn Verdacht auf eine "Straftat von erheblicher Bedeutung oder eines Delikts gegen die sexuelle Selbstbestimmung" besteht.
Die Vorhaben rufen zunehmend kritische Wissenschaftler auf den Plan. "Sollten alle drei Änderungen beschlossen werden, würde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stark eingeschränkt", sagt Veronika Lipphardt, Professorin für Science and Technology Studies an der Universität Freiburg. Der Gesetzesentwurf zu den Fingerabdrücken etwa kann dafür sorgen, dass viele Personen ins Visier der Ermittler geraten. "Mit der Verwandtensuche wird das Prinzip der Freiwilligkeit bei Massengentests verletzt", sagt Susanne Schultz vom Gen-ethischen Netzwerk.
Auch bei einem Phantombild gibt es Unsicherheit
Gemeinsam mit in- und ausländischen Wissenschaftlern warnt Veronika Lipphardt in offenen Briefen davor, dass aus DNA-Proben längst nicht so viel zu lesen ist, wie es häufig heißt. "Die Möglichkeiten werden massiv überschätzt, die Risiken dagegen drastisch unterbewertet", sagt sie. An diesem Freitag laden sie und ihre Schwester, die Kulturanthropologin Anna Lipphardt, deshalb zu einem Symposium nach Freiburg, wo über Risiken und Chancen der DNA-Forensik diskutiert werden soll. Die Professorinnen sorgen sich nicht nur um den Datenschutz, sondern auch darum, dass es leicht zu falschen Verdächtigungen kommen könnte und zu einer unverhältnismäßigen Fokussierung auf Minderheiten, weil etwa der Fund einer europäischen DNA die Tätersuche kaum einschränkt, der einer afrikanischen aber schon. "Wir brauchen eine Qualitätsoffensive", sagt Veronika Lipphardt.
Denn eines ist sicher: Auch wenn die Technologie zunächst verlässlich klingt, können aus DNA-Proben keine eindeutigen Aussagen etwa über Augenfarbe oder Herkunft eines Menschen gelesen werden. Es handelt sich immer nur um Wahrscheinlichkeiten. Aus Sicht von SPD-Mann Fechner reicht das: "Auch bei einem Phantombild gibt es Unsicherheit", sagt er, "aber während beim Phantombild niemand weiß, wie sehr es dem Gesuchten entspricht, wird bei einer DNA-Analyse die Wahrscheinlichkeit in Prozent mitgeliefert." Gleichwohl plädiert Fechner für einen "sensiblen Umgang" mit Datenschutz und Persönlichkeitsrechten, eine Vorratsdatenspeicherung dürfe es nicht geben. Aber er ist sich sicher: "Das lässt sich alles regeln."
Auf die kritischen Argumente geht die Politik bisher nicht ein
Geregelt ist in den Entwürfen allerdings wenig. Noch stehen vor allem Forderungen im Raum. Dabei wird häufig auf die Niederlande verwiesen, wo äußerliche Merkmale bereits aus DNA-Spuren herausgelesen werden dürfen. Doch was dort möglich ist, unterscheidet sich erheblich von den hiesigen Plänen. So wird die erweiterte DNA-Forensik in den Niederlanden nur als allerletzte Möglichkeit eingesetzt, und ein Ethikkomitee muss über jeden Einzelfall entscheiden.
Auf die kritischen Argumente ist die Politik bisher nicht eingegangen. Vor Kurzem haben Anna und Veronika Lipphardt bei einer Anhörung im Bundesjustizministerium ihre Bedenken vorgetragen - ohne Erfolg. Im Ministerium hört man offenbar lieber auf die Befürworter der Technologie. Doch Wissenschaftler auf diesem Forschungsfeld sind oft nicht so unabhängig, wie man es erwartet. Manche haben Patente und könnten deshalb von einer Ausweitung der Verfahren profitieren. Oder sie sind in lukrative Forschungsprojekte eingebunden, wie das europäische "Visage", das helfen soll, Phantombilder auf DNA-Basis zu erstellen. Umsetzen lassen sich die Forschungsergebnisse am Ende aber nur, wenn die Gesetze entsprechend angepasst werden.