Kriminalität:Analyse: Fehlt es an Sensibilität gegenüber Schwulen?

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Das Sprechen und Schreiben über den Anschlag ist in den Augen vieler Homosexueller eine politische Frage. (Foto: Wallace Woon)

Berlin (dpa) - Kerzen in Homo-Bars, Solidaritätsbekundungen im Internet, Mahnwachen, stilles Gedenken: Auch in Deutschland hat der Terroranschlag von Orlando viele erschüttert.

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Berlin (dpa) - Kerzen in Homo-Bars, Solidaritätsbekundungen im Internet, Mahnwachen, stilles Gedenken: Auch in Deutschland hat der Terroranschlag von Orlando viele erschüttert.

Insbesondere in der Gay Community, also unter Lesben und Schwulen oder LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual, Trans), die sich international mit Nicht-Heterosexuellen verbunden fühlt. Es gibt aber Stimmen, die die Reaktionen in Deutschland zu allgemein finden.

Auch wenn das Motiv des - möglicherweise schwulen - Täters in den Tagen nach der Tat eher als schwierige Gemengelage erscheint und der Täter womöglich Schwulenhass als Selbsthass hatte: Das Sprechen und Schreiben über den Anschlag ist in den Augen vieler Homosexueller eine politische Frage. Inwieweit soll man die sexuelle Identität der (meisten) Opfer aufgrund des Tatorts - eines eindeutigen LGBT-Lokals - betonen?

Dieses Frage wurde auch Thema bei einer Erklärung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in New York am Montagabend, die schließlich einen „Terrorangriff“ beschrieb, dem „Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung“ zum Opfer gefallen seien.

Dem Votum gingen schwierige Verhandlungen voran, weil sich von den 15 Ratsmitgliedern die Staaten Russland und Ägypten zunächst weigerten, auf die sexuelle Orientierung zu verweisen.

In Deutschland bemängelten manche in sozialen Netzwerken, dass zum Beispiel Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht ausdrücklich den Tatort als Homo-Club beschrieben und die Opfer sprachlich nicht in ihrer Identität gewürdigt habe. In den USA - in den Reden etwa von Präsident Barack Obama - sind solche politisch korrekten Feinheiten und genauen Formulierungen unter Liberalen viel mehr Konsens.

Ist die Forderung von schwuler Seite eine kleinkarierte Kategorisierung von Opfern, das unzulässige Einfordern einer Sonderrolle, wo es doch gerade darum gehen sollte, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu überwinden? Oder fördert dies den Diskurs?

Dazu teilten am Dienstag in sozialen Netzwerken Tausende einen persönlichen „Welt“-Artikel von Adriano Sack - Titel: „Es ist nicht eure Welt, die hier zerschossen wurde“. Der Journalist beschreibt darin, dass ein schwuler Club eben nicht nur ein Freizeitort zum Trinken und Tanzen sei, sondern ein Schutzraum, in dem man jenseits der Alltagswelt nicht misstrauisch beäugt werde und wo man angstfrei so sein könne, wie man wolle. Zu der - auch unter Schwulen - verbreiteten These, dass Länder wie Deutschland und die USA viel erreicht hätten und Homophobie in erster Linie ein Problem des Islams oder muslimischer Staaten sei, bemerkte Sack, dass „unser zivilisatorischer Vorsprung“ weniger groß sei als oft eingebildet.

Der Berliner Blogger Johannes Kram, der sich zum Ziel gesetzt hat, (verdeckte) Homophobie zu entlarven, schrieb bereits am Sonntag bei Facebook: „“Je suis gay - hab ich heute noch nirgendwo gelesen.

Damit spielte er etwa auf die Solidaritätsbekundungen nach den Anschlägen auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris an. In seinem Blog (mit dem Motto: „Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber...“) kritisierte der Grimme-Online-Nominierte eine in Deutschland fehlende sprachliche Sensibilität.

Es sei eben ein Unterschied, ob man den Anschlag verurteile, weil jeder mal gerne ausgehe, oder ob Politiker ganz eindeutig und unmissverständlich signalisierten, dass es alle angehe, wenn eine Minderheit in ihren speziellen Räumen angegriffen werde. Damit, so Kram, erkenne die Allgemeinheit (egal ob homo, bi oder hetero) ein solches Lokal als wichtigen Teil einer freien Gesellschaft an. Und zwar weil es für etwas stehe: „die Freiheit, der zu sein, der wir sein wollen, die Freiheit, den zu lieben, wen wir lieben“.

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