Kalt ist es geworden in der Stadt. Viele Menschen in Hamburg hegen dieses Gefühl. Es ist kalt geworden, obwohl alles genau nach Recht und Gesetz zugeht. Vielleicht gerade, weil alles so genau nach Recht und Gesetz zugeht. Das - und nicht die offensichtliche Tatsache, dass es sich nicht gehört, Polizisten zu verhauen - ist die Erkenntnis, die nach einem Wochenende wie diesem bleibt.
Tausende Menschen haben am Samstag bei Demonstrationen in Hamburg, unter anderem für den Erhalt des Kulturzentrums Rote Flora, einen Krawall angezettelt, den die Stadt so bald nicht vergessen wird. "Das Ausmaß an Brutalität macht fassungslos", sagt der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion. Das stimmt, ohne Einschränkung. Aber die Empörung über die Hitze der Krawalle kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass alle für Samstag angekündigten Kundgebungen gleichsam von einer Frage umrahmt wurden: Wie will man in dieser Stadt leben? Und wie kühl soll die Betriebstemperatur sein?
Es war vorher klar, dass es krachen würde. Nicht nur, weil die Linken das verkündet hatten wie der präpotente Klassenletzte, der noch vor der Pause erklärt, den Streber gleich so richtig zu vermöbeln. Es war klar, dass es krachen würde, weil die Wut über Wochen gewachsen ist, genährt aus etlichen Quellen. Weil inzwischen das diffuse Unbehagen bei vielen herrscht: Auch wenn alles nach den Regeln läuft - irgendwie fühlt es sich nicht richtig an.
Seit Monaten steht Hamburg vor einem ungelösten Flüchtlingsproblem. 300 aus Libyen geflohene Männer fordern Bleiberecht, ohne die Regeln einzuhalten - und der Senat pocht auf Einhaltung der Regeln. Natürlich hat der Senat recht. Eigentlich.
Scholz und seine Senatoren haben versäumt, die Menschen mitzunehmen
Seit Tagen können Mieter der Esso-Häuser auf St. Pauli wegen wackelnder Wände nicht in ihre Wohnungen. Natürlich sind die Häuser nur ein konstruiertes Symbol von Gentrifizierungsgegnern für Hamburgs Wohnungspolitik. Eigentlich.
Eigentlich kann natürlich auch der Besitzer der Flora einen Räumungstermin für sein Eigentum ansetzen, wann er will, er kann es zumindest versuchen - so durchschaubar die Provokation auch ist, das Ultimatum einen Tag vor der Demonstration enden zu lassen.
Es wäre unfair, dem SPD-Senat unter Bürgermeister Olaf Scholz nun vorzuwerfen, eigentlich müsste er alle Herausforderungen längst gelöst haben. Der Senat muss sich von den Flüchtlingen nicht zu ihren Bedingungen Asyl diktieren lassen. Er muss auf St. Pauli nicht die Meinung der manchmal rückwärtsgewandten Gentrifizierungsgegner teilen. Er kann nicht von jetzt auf gleich bezahlbaren Wohnraum zaubern.
Der Fairness halber muss man sagen, dass in Hamburg gerade ziemlich viele Herausforderungen ziemlich ungünstig aufeinandertreffen. Aber der Wahrheit halber muss man sagen, dass Scholz und seine Senatoren in dieser Lage eins versäumt haben: die Menschen mitzunehmen. Ihnen das Gefühl zu geben, sie ernst zu nehmen, jenseits aller Paragrafen. Regeln zu erklären - und nicht nur kalt anzuwenden.