Bundesregierung:Immer wieder Proteste bei Kanzler-Visite in Südbaden

Lesezeit: 3 min

Am Rande des Besuchs von Bundeskanzler Scholz demonstrieren Landwirte aus der Region gegen die aktuelle Bundesregierung. (Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Einen proppenvollen Terminkalender hatte Olaf Scholz am Dienstag in Südbaden. Bei verschiedenen Stationen wurde er immer wieder mit Applaus begrüßt – aber auch mit lautstarken Pfiffen.

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Freiburg/Emmendingen (dpa/lsw) - Ob Landwirte mit Traktoren und Hühnern, Frauen mit Protestplakaten oder palästinensische Flaggen: Bei seinem Besuch in Südbaden ist Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag immer wieder von Demonstrierenden mit Pfiffen und Plakaten empfangen worden. Hunderte Landwirtinnen und Landwirte hatten schon am Vormittag rund 240 Traktoren mit nach Freiburg gebracht und gegen die Agrarpolitik der Ampel-Koalition protestiert. Alles in allem blieb es bei den zahlreichen Terminen in Freiburg und im benachbarten Emmendingen aber friedlich.

Während einer Rede des SPD-Politikers beim Spatenstich für ein großes Neubauviertel in der Universitätsstadt machten die Bauern aus Hunderten Metern Entfernung mit lauten Pfiffen, Schreien und einem Hupkonzert auf sich aufmerksam. Eine Delegation wollte sich eigentlich mit dem Kanzler austauschen, hatte der Badische Landwirtschaftliche Hauptverband (BLHV) im Vorfeld angekündigt. 

Die Landwirte wollten dem Kanzler auch einen Katalog mit neun Forderungen übergeben - vom Stopp der Umwandlung landwirtschaftlicher Flächen in Siedlungs- und Verkehrsfläche bis zur Abschaffung aller Steuern auf Biodiesel. Doch wegen des engen Zeitplans war das zunächst nicht möglich. 

Scholz antwortet Bauern

Am Nachmittag erreichte die Botschaft schließlich doch noch den Kanzler. Eine ehemalige badische Weinkönigin schaffte es zu Scholz und übergab die Themenliste. „Unsere Forderungen haben es doch zum Bundeskanzler geschafft!“, hieß es seitens des BLHV.

Eine Art Antwort erhielten sie Stunden später - der Regierungschef war inzwischen in Emmendingen eingetroffen, wo er auf Einladung des heimischen SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Fechner deutlich länger als geplant mir rund 120 Bürgerinnen und Bürgern sprach. Die Idee könne nicht sein, Landwirtschaft klappe nur mit Zulagen und Subventionen, machte Scholz deutlich. 

Er betonte aber, die Politik arbeite am Bürokratieabbau. „Was wir versuchen ist schon, diesen unglaublichen Vorschriftendschungel zu reduzieren“, sagte Scholz auf die Frage eines Landwirts. Wer Geld vom Staat wolle, werde weiterhin Formulare ausfüllen müssen, sagte der Kanzler. Etwas anderes könne er nicht versprechen. Aber es solle weniger Dokumentationspflichten geben. 

Hohe Sicherheitsvorkehrungen

Während des Spatenstichs hatten die Landwirte aus Sicherheitsgründen in Hunderten Metern Entfernung von Scholz demonstrieren müssen - und waren darüber enttäuscht: „Es ist traurig, dass die Politik und auch die Polizei so viele Bedenken haben, auch wenn wir uns bislang nichts zuschulden haben kommen lassen“, sagte Michael Fröhlin vom BLHV-Kreisverband Müllheim bei der Kundgebung.  

Im geplanten Stadtteil Dietenbach sollen einmal 16 000 Menschen leben. Um die Wohnungsknappheit in Deutschland einzudämmen, müssen nach Ansicht von Scholz solche neuen Stadtviertel gebaut werden. „Kommunen brauchen weitere Unterstützung und mehr Geld für bezahlbares Wohnen“, sagte Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos). 

Gegen das Riesenvorhaben im Freiburger Westen gibt es jedoch Widerstand. Bauern beklagen den Wegfall landwirtschaftlicher Flächen durch den Bau des Stadtteils. Naturschützer kritisieren, die Rodung zerstöre den Lebensraum schützenswerter Tierarten.  

Aus Sicherheitsgründen wurde das Gelände weiträumig abgesperrt, Flugzeuge durften es zeitweise nicht überfliegen. Zahlreiche Polizisten waren im Einsatz. Im Vorfeld hatte es Kooperationsgespräche mit den Beteiligten gegeben.

Seit Wochen protestieren Landwirte in Deutschland gegen die Politik der Bundesregierung. Im Fokus stehen dabei vor allem die geplanten Beihilfekürzungen beim Agrardiesel. Am Aschermittwoch war eine Protestaktion in Biberach an der Riß derart ausgeartet, dass die Grünen ihre Veranstaltung zum politischen Aschermittwoch unter anderem mit Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir kurzfristig absagten.  

Wärmepumpen, Krieg und Rechtsextremismus 

Im Anschluss an den Spatenstich informierte sich Scholz am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE unter anderem über die Forschung zu klimafreundlicheren Wärmepumpen und Photovoltaik-Anlagen, die dank spezieller Farbeffekte auch beispielsweise an denkmalgeschützten Gebäuden kaum auffallen. Am frühen Nachmittag traf er im Europa-Park-Stadion des Fußball-Bundesligisten SC Freiburg gesellschaftlich engagierte Bürgerinnen und Bürgern hinter verschlossenen Türen zu einem Gespräch über Demokratie und Zusammenhalt, eher er in Emmendingen zunächst das Deutsche Tagebucharchiv besuchte. „Das ist sehr wichtig, was hier gesammelt wird“, hinterließ Scholz im Gästebuch.

Beim anschließenden Bürgergespräch prasselten dann allerhand Fragen auf den Kanzler ein. Es ging unter anderem um Antisemitismus, Corona-Folgen, die Schuldenbremse und das Handwerk. Zum Krieg in der Ukraine bekräftigte Scholz seine Haltung: „Es wird keine Truppen Deutschlands und der Nato auf ukrainischem Boden geben.“ Es müsse alles dafür getan werden, „dass es nicht zu einer Eskalation dieses Krieges, zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato kommt“. 

Ein besonderes Anliegen war Scholz auch das Thema Rechtsextremismus. „Wir sind alle gefordert“, betonte er. Die Demonstrationen gegen rechts finde er toll, aber auch im Privaten oder im Sportverein sollte man zeigen: „Wir sind mehr. Und wir werden uns das nicht gefallen lassen.“

© dpa-infocom, dpa:240226-99-132958/14

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: