Kölner Ebertplatz:"Diese Tat kann kein Polizist der Welt verhindern!"

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Nach einer tödlichen Auseinandersetzung am Ebertplatz stehen Polizisten hinter einer Absperrung. Auch sie hätten die Tat nicht verhindern können. (Foto: dpa)

Der Ebertplatz in Köln ist berüchtigt, dennoch wähnen sich die Anwohner im Bemühen um mehr Lebensqualität auf gutem Weg - bis ein Dealer erstochen wird.

Von Christian Wernicke, Köln

Abends um elf scheint die Welt noch in Ordnung zu sein auf dem Kölner Ebertplatz. Zumal jetzt, im heißen August: Der grellgrün beleuchtete Brunnen plätschert, vorm Tresen des Gastro-Containers stehen die Anwohner Schlange für noch ein Kölsch. Und selbst an der Westseite, wo die Betonplatten übergehen in die schmuddelige Tunnelpassage mit einer Handvoll Ladenlokalen, nach Urin stinkenden Ecken und kaputten Rolltreppen - selbst da macht Herbert Reul noch "wirkliche Fortschritte" aus: "Vor zwei Jahren war das hier alles duster", erinnert sich Nordrhein-Westfalens Innenminister, "da traute sich kaum einer her." Der CDU-Politiker blickt auf die Studenten, die auf einer Mauer sitzen und trinken, rauchen, feiern.

Kölns "Wunder vom Ebertplatz", es schien vollbracht zu sein. Bürgerinitiativen, die Polizei, die Stadtverwaltung - alle zusammen hatten sich angestrengt, den "Angstraum" zwischen dem hippen Agnesviertel und der bunten Altstadt-Nord zurückzuerobern als Treffpunkt fürs Veedel: im Sommer mit Bad im Brunnen, im Winter mit Eisbahn.

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Beinahe jede deutsche Großstadt kennt einen solchen Krisen-Ort mit Dealern, Junkies oder Obdachlosen. Köln schien den Kampf gewonnen zu haben. Bis Sonntag: Da verblutete, zum zweiten Mal binnen 26 Monaten, nach einem Streit zwischen Dealern ein Flüchtling aus Somalia auf dem Beton. Betroffen blickt Reul am Tatort auf Blumen und Kerzen. "Ich hatte gehofft, wir wären hier schon weiter", sagt er leise.

Drogendelikte machen zwei Drittel aller Vergehen aus

So ähnlich, nur sehr viel lauter, hat Reul bereits zwei Stunden zuvor die Lage im "Em Kölsche Boor" analysiert. 200 Men-schen drängeln sich im Brauhaus, zur Bürgerversammlung bei 35 Grad im stickigen Festsaal. Hier im Veedel wählt fast jeder Zweite grün, die AfD darbt unter fünf Prozent. Neben dem Minister schwitzt Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die später einräumen wird, in einer Millionenstadt wie Köln werde es "nie eine hundertprozentige Möglichkeit geben, einen solchen Platz zu sichern".

Noch drastischer hat es zuvor Polizeipräsident Uwe Jacob gesagt: Auch er ärgere sich, dass mehr als zwei Jahre nach dem ersten Todesopfer bisher nur fünf leere Stahlpfähle für die geplante Videoanlage auf dem Ebertplatz stehen. Nur, selbst allerbeste Technik hätte das Leben des 25-jährigen Somaliers am Sonntag um 4.45 Uhr nicht retten können: "Diese Tat kann kein Polizist der Welt verhindern!"

Viele Jahre lang hatte die Stadt den Ebertplatz verkommen lassen, ein besonders hässliches Exemplar eines "Brutalismus" getauften Architekturstils. 2016 geriet der Platz dann obendrein zum Kollateralschaden der weltberüchtigten Silvesternacht: Seit die Polizei die Kleinkriminellen vermehrt von Hauptbahnhof und Domplatte vertrieb, zogen die Dealer 1,3 Kilometer weiter nach Norden. Prompt schossen die registrierten Straftaten am Platz um 44 Prozent in die Höhe, Drogendelikte machen dort seither zwei Drittel aller Vergehen aus. Seit 2018, seit Stadt und Bürger um die Wiederbelebung des Ebertplatzes ringen, verbessert sich die Statistik wieder. Aber der Platz bleibt ein Menetekel für Kölner Ängste, und die subjektiv gefühlte Sicherheit ist bis heute miserabel.

Die Debatte ist hitzig, aber kocht nie über

Ruth-Lucia Wennemar, als Sprecherin des lokalen Bürgervereins die Moderatorin im Brauhaus, erzählt vom allnächtlichen Alltag: zerkratzte Autos, zertrümmerte Stühle von den Restaurants, Schlägereien im Morgengrauen. Die 49-jährige Journalistin berichtet, wie ihr neulich eine verzweifelte Anwohnerin ihre Gefühle zur Lage im Veedel geschildert habe: Zustände seien das, "die zwingen zu Selbstjustiz", zitiert Wennemar die Bürgerin, "wenn du den Staat brauchst, dann ist er nicht da!" Viele klatschen, allen voran die Anwohner hinten im Saal um einen Mann im blauen Shirt, der zuvor den Innenminister als "lächerlich" beschimpft hatte. Da hatte Reul gemahnt, man könne nicht einfach jeden Kleinkriminellen aus Deutschland abschieben: "Wir haben uns - Gott sei Dank - auf einen Rechtsstaat eingelassen."

Die Debatte ist hitzig, aber sie kocht nie über. Polizeipräsident Jacob erntet zwar von einer jungen Frau eine Rüge wegen angeblichen Rassismus, da er einen Tatverdächtigen als "Schwarzafrikaner" bezeichnete. Lauter jedoch ist der Beifall, als Jacob ankündigt, er wolle künftig auch in tiefster Nacht Streife fahren lassen und mehr Zivilfahnder schicken, um den Kunden der Dealer zuzusetzen: "Das sind über-wiegend Deutsche, die kommen auch hier aus dem Viertel!" Als schließlich ein Staatsanwalt die Anwohner auffordert, mehr Zivilcourage zu beweisen und als Zeugen gegen Dealer auszusagen, nicken viele. Den Rest hat Moderatorin Wennemar im Griff: "Wer reinschreit oder beleidigt, der fliegt raus," warnt sie einen Zwischenrufer. Sie kann so reden, weil sich alle kennen im Saal.

Zwei Polizisten führen einen Dealer ab

Nach zwei Stunden Debatte gelingt so etwas wie ein Kneipen-Konsens zwischen Podium und Publikum. Alle, vom links-alternativen Studenten bis zum CDU-Bezirkspolitiker, verlangen mehr Polizei, am besten in einer mobilen Wache, unterstützt von mehr Sozialarbeitern. Und die Videoüberwachung müsse endlich beginnen. Die große Lösung, der Umbau des Platzes, beginnt frühestens 2022.

Spät am Abend, nach dem Rundgang, trinkt auch Innenminister Reul noch sein Bier am Gastro-Container. Jeder Klappstuhl ist besetzt, die zivilgesellschaftliche (kurz: kölsche) Rückeroberung der Krisen-Platzes geht also weiter. Im Halbdunkel hinterm Brunnen sind derweil drei Schatten auszumachen. Zwei Polizisten führen einen Dealer ab.

© SZ vom 30.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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