Zugegeben, das ist jetzt ein harter Spoiler, aber Volker Weininger ist zumindest im Rheinland so berühmt, dass man vielleicht doch nicht zu viel verrät mit der Feststellung: Der Anfang seines Auftritts ist für Karnevalslaien ein Schocker. Der Büttenredner ist ja angetrunken! Immer wieder hält er sich am Pult fest und hebt an mit den Worten: "Lliebenärrnnenunnnarrn ...". Der Sitzungspräsident ist da.
Volker Weininger, 52 Jahre alt, hat bei seinen Auftritten immer ein Bierglas auf dem Pult stehen, Kölsch in Köln, Alt in Düsseldorf. Über Bier, das ja auch im Publikum reichlich genossen wird, spricht er etwa wie folgt, im schönsten Kölner Singsang: "Immer, wenn da enn Kölsch vor mir steht, hör' ich zwei Stimmen in meinem Kopp. Die eene sacht: Trink ett! Unn die andere sacht: Häste nitt jehört, du solls ett trinke?"
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Tendenziell spaßbefreite Menschen könnten nun versucht sein, eine Verherrlichung der Droge Alkohol zu beklagen. Aber damit täten sie diesem Sitzungspräsidenten erhebliches Unrecht. Weininger hat die Tradition der Büttenrede, bei der einst die Untertanen ungestraft die Herrschaften schmähen durften, um ein Maß an Selbstironie bereichert wie wenige vor ihm. Die Haltung des bezechten Frohsinnsfunktionärs und die entsprechend mäandernde Redeweise sind, natürlich, eine Persiflage des sich gern auch selbst feiernden Karnevals. Nicht umsonst hat er sich zu seiner Figur von einem echten Sitzungspräsidenten anregen lassen, den er in jungen Jahren beim eher rustikalen Karneval auf dem Dorf bei Windeck im Rhein-Sieg-Kreis erlebte, "der war immer auf Pegel, aber auch immer unterhaltsam", sagt Weininger.
Er ist ein Späteinsteiger im Frohsinnsgeschäft - erstmals trat er 2012 als " der Sitzungspräsident" auf - und kommt aus dem kritischen alternativen Karneval, war Mitbegründer der legendären Blauen Bütt in Koblenz. Weininger arbeitete nach dem Studium als Lehrbeauftragter für Deutsch als Fremdsprache; aber das Kabarett lockte ihn fort, heute ist es sein Hauptberuf.
Er lallt über Kölschskeptiker und Quertrinker
Büttenredner haben es übrigens nicht mehr so leicht. Einerseits ist da die stark gestiegene Sensibilität in der Gesellschaft; Karneval und Korrektheit - schwierig. Weininger sagt: "Es gibt kaum noch ein Thema, das nicht irgendwo ein Potenzial zum Shitstorm hätte." Er gehört freilich nicht zu den bevorzugten Zielen, denn seine verbale Waffe ist deutlich eher das Florett als die Keule. Gereimte Klischees über "die da oben" oder bestimmte Gruppen sind nicht sein Ding; und wenn es bis heute Kollegen gibt, die mit roter Pappnase, billigem Politikerbashing und Latrinenwitzen um Beifall buhlen - das ist nicht sein Stil.
Eher sinniert er über "Kölschskeptiker und Quertrinker" oder über die fortschrittlichen Nachbarn, die ein Kind erwarten; Junge oder Mädchen, habe er gefragt, Antwort: "Das soll es selber entscheiden, wenn es groß ist." Gern spielt er mit der Korrektheit, aber wenn das Publikum über eine Veggie-Pointe lacht, unterbricht er sich plötzlich und ruft: "Veganer gehen immer. Jetzt noch einen Witz über Fridays for Future und ich hab' euch im Sack." Er macht den Witz aber nicht, und die Botschaft kommt an: Die Welt passt nicht in Schubladen.
Und wie ist das mit dem Bier in der Bütt?
Zum anderen aber sinkt im Sitzungskarneval der Redeanteil immer weiter, wie dort viel beklagt wird, die Gäste wollen lieber mehr feiern, tanzen, trinken. "Wenn du ein paar Minuten bis zur Pointe brauchst", sagt Weininger, "hast du die Leute verloren."
Weininger, der mit Familie in Bonn lebt, hat mit "Solo!" eine eigene Show und übers Jahr gut 300 Auftritte. Und wie ist das mit dem Bier in der Bütt? "Ist datt escht?" So wird er oft gefragt. Aber das wird nicht verraten. Auch ein Sitzungspräsident muss seine Geheimnisse haben.