Justiz - Schleswig:Hohe Geldforderung an Landwirt juristisch sauberer Fall

Kiel (dpa/lno) - Die rekordverdächtige Geldforderung an einen Lütjenburger Landwirt für den Ausbau einer kurzen Straße stellt nach Expertenmeinung einen Härtefall dar. "Zwar gilt auch bei der Erhebung dieser Beiträge - wie bei allem staatlichen Handeln - der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz", sagte der Kieler Verfassungsrechtler Florian Becker der Deutschen Presse-Agentur. Einen Verstoß dagegen könne er im vorliegenden Fall jedoch nicht erkennen.

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Kiel (dpa/lno) - Die rekordverdächtige Geldforderung an einen Lütjenburger Landwirt für den Ausbau einer kurzen Straße stellt nach Expertenmeinung einen Härtefall dar. "Zwar gilt auch bei der Erhebung dieser Beiträge - wie bei allem staatlichen Handeln - der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz", sagte der Kieler Verfassungsrechtler Florian Becker der Deutschen Presse-Agentur. Einen Verstoß dagegen könne er im vorliegenden Fall jedoch nicht erkennen.

Nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 22. September (Az.: 9 A 206/14) soll ein Landwirt 189 000 Euro an die Stadt Lütjenburg zahlen. Ursprünglich hatte die Kommune sogar knapp 218 000 Euro von dem Landwirt verlangt, der dagegen klagte.

"Das entscheidende Kriterium in solchen Fällen ist die Grenze der individuellen Belastbarkeit: Solche Abgaben dürfen den Wert des Grundstücks normalerweise nicht übersteigen", sagte Verfassungsrechtler Becker. Zwar gebe es den Verfassungsgrundsatz, dass Eigentum verpflichtet. "Aber es verpflichtet nicht so weit, dass man das Eigentum zwangsläufig aufgeben muss."

"Die Summe ist schon unfassbar hoch, ist aber wohl letztlich auf den auch wirtschaftlichen Vorteil zurückzuführen, den der Betroffene durch den Ausbau der Straße objektiv hat", sagte Becker. "Es ist sicher ein Härtefall, wenn ein Grundbesitzer durch eine solche Forderung der Gemeinde ruiniert wird." Denkbar sei eine Stundung, das Abstottern des Beitrags oder auch eine Absenkung aufgrund der Höhe.

"Aber darauf hat ein Grundbesitzer keinen Anspruch", sagte Becker. Dies sei Verhandlungssache zwischen Gemeinde und Gläubiger. "Auf der anderen Seite gibt es natürlich Einwohner, die zwei Kilometer Luftlinie davon entfernt wohnen, und vielleicht vor kurzem selbst einen fünfstelligen Betrag für den Ausbau ihrer Straße zahlen mussten. Das wirft dann die Frage nach der Gleichbehandlung auf."

Kommunen in Schleswig-Holstein müssen Haus- und Wohnungsbesitzer seit 2012 zur Kasse bitten, wenn ihre Straßen ausgebaut werden. Die neue Landesregierung aus CDU, Grünen und FDP will es den Städten und Gemeinden künftig aber wieder selbst überlassen, ob sie solche Beiträge von Anwohnern erheben.

Im Fall des Lütjenburger Landwirts geht es um eine kleine, öffentliche Straße, die an der Turmhügelburg, dem Nachbau einer mittelalterlichen Wehranlage, vorbei zum Eiszeitmuseum und dem Haus des Landwirts führt. Seine Felder liegen links und rechts einer knapp einen Kilometer langen Straße, die 2011 ausgebaut wurde. Die Stadt Lütjenburg legte drei Viertel der gut 600 000 Euro Baukosten auf die sechs Anlieger um.

Lütjenburgs Bürgermeister Dirk Sohn (CDU) sagte der "Bild"-Zeitung, "die Straße war in einem katastrophalen Zustand und musste saniert werden. Wir haben keinen Ermessensspielraum, weil die Satzung vorsieht, dass die Kosten auf die Anlieger umgelegt werden."

Der Landwirt hat seinen Hof verpachtet, in einigen Jahren soll ihn der 22-jährige Sohn übernehmen. "Aber wenn es bei dieser Summe bleibt, braucht er gar nicht erst anfangen", sagte der 61-Jährige der dpa. Er sprach von einer "totalen Katastrophe", fühlt sich allein gelassen und schiebt der örtlichen Kommunalpolitik die Schuld zu. "In der Gemeinde fing das ganze Desaster an."

Laut dem Justiziar des Landesbauernverbandes, Michael Müller-Ruchholtz, können derart hohe Summen wie im Lütjenburger Fall für Bauern existenzgefährdend sein. "Wir haben regelmäßig Fälle, in denen Kommunen von Landwirten 40 000 bis 70 000 Euro verlangen", sagte er den "Lübecker Nachrichten". Anlieger könnten bis zu 85 Prozent an den Kosten beteiligt werden. "Zu viel."

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