Ex-Verfassungsrichter:Müller: Debatte um Stärkung des Gerichts greift zu kurz

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Peter Müller, damaliger Bundesverfassungsrichter im Zweiten Senat. (Foto: Uli Deck/dpa)

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts bescheinigte dem ausgeschiedenen Richter Müller zum Abschied Kommunikationstalent. Das bewies der dann auch gleich und ging auf aktuelle Themen ein.

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Karlsruhe (dpa) - Zur Stärkung der Demokratie reichen rechtliche Instrumente wie eine Verankerung weiterer Aspekte zum Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz nach Auffassung des ehemaligen Verfassungsrichters Peter Müller nicht aus. Themen, wegen derer auch nicht radikale Menschen über eine Wahl der AfD nachdenken, müssten klar angesprochen werden, sagte Müller am Freitag in Karlsruhe bei seiner Abschiedsrede. Es müssten Konzepte entwickelt und auch umgesetzt werden. „Solange dies nicht geschieht, führen wir den Kampf gegen die Feinde der Demokratie nicht im Sinne des Primats der geistigen Auseinandersetzung. Und es wird nicht nachhaltig erfolgreich sein.“

Der frühere saarländische Ministerpräsident und CDU-Politiker bezog sich dabei auf das NPD-Verbotsurteil, aus dem er „aus aktuellem Anlass“ zitierte: „Das Grundgesetz geht davon aus, dass nur die ständige geistige Auseinandersetzung der richtige Weg zur Bildung des Staatswillens ist. Es vertraut auf die Kraft dieser Auseinandersetzung als wirksamste Waffe gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien.“ Müller stellte infrage, ob die aktuelle Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen und künftig möglicherweise auch mit linkspopulistischen Entwicklungen dem gerecht werde.

Derzeit wird diskutiert, etwa Details zur Wahl und Amtszeit von Verfassungsrichtern nicht nur in einem mit einfacher Mehrheit zu ändernden Gesetz, sondern im Grundgesetz festzuschreiben. Hier braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag für Änderungen. Müller nannte auch Parteiverbote und Grundrechtsverwirkungen als Beispiele. „Ist das die Kraft der geistigen Auseinandersetzung, die das Grundgesetz meint?“, fragte er. „Oder ist das nicht eher Ausdruck der Verzagtheit der Demokraten?“

Debatte um Treffen mit der Bundesregierung

Ferner sprach er sich dafür aus, dass sich Staatsorgane wie das Verfassungsgericht und die Bundesregierung weiter austauschen. Während seiner Amtszeit hatte es Kritik daran gegeben, dass sich die 16 Verfassungsrichterinnen und -richter zu einem Abendessen mit der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den meisten Bundesministerinnen und -ministern getroffen hatte. Zu dieser Zeit befasste sich das höchste deutsche Gericht unter anderem mit der sogenannten Corona-Notbremse, die Thema bei dem Treffen war.

„Die Vorstellung, dass bei dieser Gelegenheit Verfahren ausgekungelt werden, die Vorstellung, dass ein durchschnittliches Kalbsgeschnetzeltes und ein nicht einmal sehr gut gekühltes Bier im Kanzleramt einen deutschen Verfassungsrichter oder eine deutsche Verfassungsrichterin bei der Entscheidungsfindung beeinflusst, ist nicht von dieser Welt“, sagte Müller. „Und deshalb hoffe ich, dass es gelingt, an dieser Stelle bewährte Staatspraxis fortzuführen, ungeachtet des Umstandes, dass der eine oder andere daran Kritik üben mag. Die Spruchpraxis belegt ja, dass das, was da unterstellt wird, nicht geschieht.“

Strukturell stehen Verfassungsgerichte nach Müllers Worten eher auf der Seite derjenigen, die zurzeit nicht regieren: der Opposition, der Minderheiten, des Einzelnen. „Das ist ärgerlich für Regierende“, sagte er. „Verfassungsgerichte werden empfunden als Sand, nicht als Öl im Getriebe.“ Das Qualifikationsprofil von Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichtern beinhalte eben auch die Bereitschaft, sich unbeliebt zu machen.

© dpa-infocom, dpa:240322-99-433240/2

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