Vulkanausbruch auf Island:120 Meter hohe Lava-Fontänen

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Die Behörden auf der Reykjanes-Halbinsel haben schon seit Wochen mit einer Eruption gerechnet. Nun ist sie aber doch heftiger als erwartet. Und es gibt nicht einen einzelnen Vulkankegel, sondern einen vier Kilometer langen Riss.

Von Alex Rühle, Stockholm

Zuletzt war es ruhig geworden auf der isländischen Halbinsel Reykjanes. Aber am Montagabend gegen 22 Uhr riss die Erde auf und seither spuckt ein neuer Vulkan auf einer Länge von etwa vier Kilometern Lava. Die Besonderheit bei diesem Ausbruch: Es gibt nicht einen einzelnen Vulkankegel, sondern einen Riss entlang der alten Sundhnúka-Kraterreihe, die zuletzt im 13. Jahrhundert aktiv war und aus der in der Nacht bis zu 120 Meter hohe Lava-Fontänen himmelwärts schossen, wie Helikopter-Aufnahmen und Webcams zeigen.

Vom südlichen Ende der Vulkankette sind es etwa drei Kilometer bis zum Hafenstädtchen Grindavík. Das Kraftwerk Svartsengi, das die gesamte Halbinsel Reykjanes mit Strom und Wasser versorgt, liegt ebenfalls nur wenige Kilometer von der Spalte entfernt. Das isländische Parlament hatte Mitte November einen Gesetzentwurf verabschiedet, um den Bau von Lava-Barrieren voranzutreiben. Die sollen das Kraftwerk genauso schützen wie die nebenan gelegene Blaue Lagune, das berühmte Geothermalbad, das seit 9. November geschlossen war und erst am Sonntag wiedereröffnet hatte.

Im November hatte es auf Reykjanes immer wieder im Minutentakt gebebt, bis zu 800 Erschütterungen am Tag wurden damals gemessen. Ein unterirdischer Spalt hatte sich auf einer Länge von 15 Kilometern mit Magma gefüllt, das geschmolzene Gestein stieg vorübergehend bis auf 500 Meter unter die Erdoberfläche. In Grindavík rissen ganze Straßenzüge auf, Häuserwände wurden zerstört, der Ort musste am 10. November evakuiert werden, die knapp 4000 Bewohner leben seither bei Freunden und Verwandten oder in drei Notunterkünften. Da das Magma Ende November aber wieder bis in rund fünf Kilometer Tiefe abgesunken war, bestand die Hoffnung, dass sich die Situation beruhigen würde, die Bewohner durften sich tagsüber wieder in Grindavík aufhalten.

Nun wurden vorübergehend wieder alle Straßen geschlossen - außer für Rettungspersonal und Wissenschaftler. Bürgermeister Fannar Jónasson sagte dem Rundfunksender RÚV, dass es den Menschen den Umständen entsprechend gut gehe. Glücklicherweise seien die Krater, die Grindavík am nächsten gelegen sind, erloschen. Es bestehe im Moment also keine große Gefahr für den Ort. Dennoch seien viele Einwohner enttäuscht, dass sie Weihnachten nicht zu Hause feiern könnten. Der Vulkanausbruch könne noch länger andauern, sagte Islands Außenminister Bjarni Benediktsson am Dienstagabend dem britischen TV-Sender Sky News. "Zum Glück besteht im Moment keine Lebensgefahr."

Das isländische Wetteramt teilte in der Nacht zu Mittwoch mit, es bestehe die Gefahr, dass sich weitere Schlote entlang der Spalte öffneten. Insgesamt aber hätten sich die Eruptionen abgeschwächt. Die Polizei forderte Schaulustige auf, sich dem Vulkan nicht zu nähern, und warnte auf Facebook vor giftigen Gasen.

Pro Sekunde treten 100 bis 200 Kubikmeter Lava aus

Island sitzt direkt auf dem Mittelatlantischen Rücken, einer riesigen Bruchzone, an der die nordamerikanische und die eurasische Lithosphärenplatte auseinanderdriften. Die ganze Insel im Nordatlantik ist gewissermaßen ein Produkt dieser Plattenbewegung, es gibt hier 30 Vulkansysteme. Die Halbinsel Reykjanes wiederum liegt direkt auf der eigentlichen Bruchzone und dadurch auch auf der Hauptlinie der Vulkane.

Die isländischen Vulkanologen hatten dort einen Ausbruch ähnlich dem des Fagradalsfjall erwartet, einem kleinen Vulkan, wenige Kilometer östlich gelegen, der in den vergangenen Jahren dreimal aktiv war und seine Lava jeweils eher friedlich überschwappen ließ. Nun traten aber pro Sekunde etwa 100 bis 200 Kubikmeter Lava aus, das ist mindestens das Zehnfache, was der Fagradalsfjall bei seiner Eruption 2021 produzierte.

Das orangefarbene Lavaleuchten war die ganze Nacht über von der nicht einmal 40 Kilometer entfernten Hauptstadt Reykjavík aus deutlich zu sehen. Wie die isländische Regierung mitteilte, ist der Flugverkehr von und nach Island aber nicht beeinträchtigt. Der Flughafen Keflavík sei weiterhin gut zu erreichen.

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Der Vulkanologe Thorvaldur Thordarson schätzt, dass zu Beginn zwischen 30 000 und 60 000 Tonnen Schwefeldioxid täglich in die Atmosphäre gelangen werden. Sein Kollege, der Geophysiker Páll Einarsson, sagte Montagnacht voraus, dass sich die Eruption auf ganzer Breite in wenigen Tagen abschwächen und die Aktivität auf einzelne Krater oder sogar nur einen einzigen Krater zusammenschrumpfen werde.

Mit dieser Prognose scheint er recht zu haben: Auf Luftaufnahmen vom Dienstagmittag ist zu erkennen, dass die Kraft des Ausbruchs deutlich abgenommen hat, der Vulkan produzierte nur noch rund ein Viertel der Lavamengen von der Nacht zuvor, die höchsten Magmafontänen erreichten vielleicht noch eine Höhe von 30 Metern.

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