Illerkirchberg:Ein Ort, der nicht zur Ruhe kommt

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Der Tatort in Illerkirchberg am 6. Dezember, einen Tag nach der tödlichen Messerattacke. Heute brennen dort nicht mehr so viele Kerzen, aber ein Gedenkort ist es immer noch. (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)

Vor sechs Wochen griff in Illerkirchberg ein Geflüchteter zwei Schülerinnen an. Eine starb, die andere überlebte schwer verletzt. Wie arbeitet die Gemeinde das Geschehene auf? Der Vater des getöteten Mädchens hat einen Vorschlag.

Von Max Ferstl, Illerkirchberg

Der Tatort hat sich verändert. In der Gasse in Illerkirchberg, wo vor sechs Wochen eine Schülerin getötet wurde, brennen an diesem Abend weniger Kerzen als beim letzten Besuch. Dafür sitzen jetzt Kuscheltiere am Straßenrand, viele Teddybären, ein Rentier, ein Eichhörnchen, bestäubt vom Schnee.

Verändert hat sich auch die Flüchtlingsunterkunft auf der anderen Seite der Gasse, in die der Angreifer floh. Verschwunden sind die Polizisten, die Wache hielten, und das Absperrband am Türschloss. Stattdessen hängt ein Zettel an der Tür: "Unterkunft geschlossen!"

Sechs Wochen sind vergangen seit jenem Montagmorgen im Dezember, als ein Mann aus Eritrea in die Gasse trat, ein Messer in der Hand, und zwei Schülerinnen attackierte. Er verletzte sie so schwer, dass eine von ihnen, 14 Jahre alt, starb. Ihre beste Freundin überlebte, gerade so.

Die Tat hat die Gemeinde geschockt und aufgewühlt, am Tag nach dem Angriff weinten Menschen leise in der Gasse, manche schimpften nicht ganz so leise auf Geflüchtete. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl besuchte den Tatort. Und Illerkirchbergs Bürgermeister sagte, um das Geschehene zu verarbeiten, brauche seine Gemeinde Ruhe.

Erst der tödliche Angriff, dann Demonstrationen von Rechtsextremen

Aber Ruhe kehrte nicht ein in Illerkirchberg. Wenig später hielten die AfD und die rechtsextreme Organisation "Der dritte Weg" hier Kundgebungen ab. Und es waren nicht nur die Rechten, die in der Tat von Illerkirchberg ein Symbol für gescheiterte Migrationspolitik erkennen wollten. Die baden-württembergische CDU nahm die Tat zum Anlass, um eine Debatte über straffällige Geflüchtete zu führen und konsequentere Abschiebungen zu fordern.

Dabei ging es nicht nur um den 27-jährigen Angreifer aus Eritrea, der die Tat inzwischen gestanden hat, über dessen Motiv aber nach wie vor öffentlich nichts bekannt ist. Die Empörung speiste sich in gleichem Maße aus einem Ereignis in der Halloweennacht 2019. Damals hatten in einer anderen Flüchtlingsunterkunft in Illerkirchberg vier Männer aus dem Irak und Afghanistan einer 14-Jährigen Betäubungsmittel eingeflößt und sie vergewaltigt. Das Landgericht Ulm verurteilte sie zu Haftstrafen.

Beide Fälle hängen nicht zusammen. Aber nach dem tödlichen Angriff erinnerten sich die Menschen wieder an die Vergewaltigung. Worüber sich viele aufregen, ist der Umstand, dass einer der Täter, ein Afghane, nach seiner Haft nicht abgeschoben wurde. Und dass er zurück nach Illerkirchberg kam. Ob er dort noch immer lebt, ist unklar. Anfang der Woche hieß es, der Mann sei verschwunden. Er hatte sich zuletzt laut den Behörden nicht mehr wöchentlich bei der Polizei gemeldet, wie es seine Auflagen nach der Haft vorsahen.

Suizid eines 25-Jährigen, der ebenfalls in der Unterkunft wohnte

Nein, ruhig ist es in Illerkirchberg nicht geworden. Der Ort musste für vieles herhalten, musste vieles aushalten. Nicht nur den tödlichen Angriff, die Demonstrationen, die Unsicherheit. Sondern auch die Tatsache, dass sich wenige Tage nach dem Angriff ein 25-Jähriger, der ebenfalls in der Flüchtlingsunterkunft wohnte, das Leben nahm. Warum, ist nicht bekannt. Nur dass die Polizei ihn nach dem Angriff vernommen hatte, aber nicht davon ausgeht, dass er etwas mit der Tat zu tun hatte.

Eine große Last also für eine kleine Gemeinde. Und jetzt die Frage: Wie arbeitet sie das auf?

Am Mittwochabend trafen sich die Illerkirchberger in der Gemeindehalle, am Eingang kontrollierte ein Sicherheitsdienst die Ausweise. Rein durfte neben ausgewählten Medienvertretern nur, wer in Illkerkirchberg wohnt. Die Gemeinde ist sehr vorsichtig geworden. In der Halle ging es dann, so berichten es Teilnehmer, zum einen um das Unverständnis vieler Bürger. Wie kann das sein, dass ein verurteilter Straftäter zurück an den Ort seines Verbrechens kommt?

Zum anderen ging es um die Angst, die den Ort erfasst habe. Da ist die Frau, die Geld sammeln würde, wenn das hälfe, dass der Mann abgeschoben werde. Da ist der Vater, der sagte, dass man sich um 22 Uhr abends nicht mehr aus dem Haus traue.

Was der Vater des getöteten Mädchens auf der Versammlung sagt

Als die Veranstaltung fast zu Ende war, stand der Vater des getöteten Mädchens auf. Er und seine Frau hatten nach der Tat einen Brief veröffentlicht, darin schrieben sie über den Schmerz, der nicht zu beschreiben sei, und über die "tiefe Sehnsucht nach Frieden in unserer Heimat und Gemeinde Illerkirchberg". Und dass der Ort keinen "Generalverdacht gegenüber bestimmten Volksgruppen und Gemeinschaften" zulassen dürfe.

Am Mittwochabend dann, bei der Bürgerversammlung, sagte der Vater laut Teilnehmern, dass er eigentlich gar nicht habe sprechen wollen. Aber dann sprach er doch. Lobte die Polizei für ihre Arbeit. Und trug eine Bitte vor: Die Flüchtlingsunterkunft neben dem Tatort solle abgerissen werden. Seine zwei verbliebenen Kinder hätten Angst, daran vorbeizulaufen. Statt des Gebäudes, an dem der Putz abblättert, soll eine Wiese blühen. Eine Wiese, auf der Kinder spielen können.

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