Hotel Rigopiano:Wie die "Engel des Schnees" in Italien nach Vermissten suchen

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  • Seit am Mittwoch eine Lawine ein Hotel in den Abruzzen erfasste, konnten neun Menschen gerettet werden, fünf wurden tot geborgen.
  • 24 Menschen gelten noch immer als verschollen. Die Hoffnung schwindet, doch die Feuerwehrleute suchen weiter.
  • Nun werden auch die persönlichen Schicksale der verschütteten bekannt. Die Geschichte der Familie Parete ist die einzig wirklich glückliche.

Von Oliver Meiler, Rom

In Italien nennt man sie jetzt "Engel des Schnees", "Angeli della neve". Seit vier Tagen und Nächten graben Feuerwehrleute in den Abruzzen nach Vermissten im Hotel Rigopiano. Mit hoch technologischen Geräten und mit bloßen Händen, heldenhaft und unter hohen Risiken. Am vergangenen Mittwoch war das Haus von einer Lawine erfasst und fast ganz begraben worden unter Schnee, Eis, Bäumen und Geröll. 120 000 Tonnen schwer soll die Masse gewesen sein, schätzen die Experten, so schwer wie 4000 voll beladene Lastwagen. Neun Menschen konnten seither gerettet werden, fünf wurden tot geborgen. Noch immer gelten 24 als verschollen.

Obschon die Zuversicht für sie am Wochenende mit jeder Stunde etwas mehr schwand: Die "Engel des Schnees" schienen die Hoffnung nicht aufzugeben. In einigen Räumen sei die Temperatur erträglich, berichteten sie, und es gebe da und dort auch Lebensmittel. Stimmen aber waren keine mehr zu hören.

Unterdessen werden die persönlichen Schicksale von den Menschen bekannt, die in diesem schönen und gefährdeten Hotel am Fuß des Gran Sasso, auf 1200 Metern über Meer, Ferien gemacht hatten. Da ist zum Beispiel die Geschichte eines neunjährigen Jungen, Edoardo, der mit anderen Kindern Billard spielte, als die Lawine über das Hotel hereinbrach. Er überlebte, konnte aus den Schneemassen gerettet werden. Als sie ihn ins Krankenhaus von Pescara bringen wollten, sagte er, er gehe nicht ohne seine Eltern weg. Seine Mutter hatten die Helfer schon geborgen, leblos. Der Vater bleibt verschollen.

Da ist die Geschichte eines jungen Ehepaars aus Rom, das zum ersten Mal seit der Geburt seiner fünfjährigen Tochter alleine wegfuhr. Das Mädchen blieb bei den Großeltern. Den Vater traf eine geborstene Dachverstrebung, nach einigen Stunden starb er. Und da ist die Geschichte der Familie Parete, die einzig wirklich glückliche.

"Gehen wir jetzt endlich Ski fahren?"

Giampiero Parete, ein 38-jähriger Koch, hatte kurz vor dem Niedergang der Lawine das Hotel verlassen, um im Wagen eine Tablette zu holen für seine Frau Adriana, die an Kopfschmerzen litt. Sie war drinnen geblieben mit ihren Kindern Gianfilippo, 8, und Ludovica, 6. Ludovica spielte Billard, Gianfilippo saß bei der Mutter auf dem Sofa in der Lobby. Man wartete auf den Schneepflug, dessen Ankunft immer wieder versprochen und verschoben wurde.

Dann gab es einen lauten Knall, das Licht war weg. Sie habe ihren Sohn umarmt, erzählte Adriana den italienischen Medien, und habe ihn für die folgenden 40 Stunden nicht mehr losgelassen. Die beiden hatten eine Flasche Wasser bei sich, einen halben Liter. Sie netzten sich damit ständig die Lippen. Andere Verschüttete berichteten nach ihrer Rettung, sie hätten schmutzigen Schnee gegessen. Der trockene Mund sei das Schlimmste gewesen - schlimmer noch als die beklemmende Enge, die Kälte, die Angst.

Als Adriana und ihr Sohn aus dem Loch gezogen wurden, wussten sie, dass Ludovica am Leben war. Wie alle Kinder, die im Nebenraum Billard spielten. Es war eines von vier Luftlöchern, die die Lawine ausgespart hatte. Und so konnte auch die sechsjährige Ludovica gerettet werden. Sie bat um Kekse, als sie befreit wurde. Und sie fragte verwirrt und wohl auch traumatisiert: "Gehen wir jetzt endlich Ski fahren?"

© SZ vom 23.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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