Herausforderungen für den neuen Papst:Die Agenda des Franziskus

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In Europa erwarten viele Katholiken mehr Offenheit und Toleranz von ihrer Kirche, doch der neue Papst dürfte andere Prioritäten haben. Er muss eine Reform der Kurie anstoßen - und grundsätzlich entscheiden, wie sich die katholischen Kirche angesichts ihrer schwindenden Macht und zahlreicher Konflikte positionieren will.

Von Matthias Drobinski, Rom

Keine Institution von vergleichbarer Größe ist so sehr auf ein Amt, auf eine Person hin ausgerichtet. Ein Papst kann sehr viel bewegen in der katholischen Kirche: Pius IX. führte sie im 19. Jahrhundert ins Gefängnis des Antimodernismus. Johannes XXIII. berief 1959 überraschend eine Kirchenversammlung ein, die wieder das Fenster zur Welt öffnete. Auch der neue Papst Franziskus muss entscheiden, wohin die Kirche geht - er steht vor großen Herausforderungen.

Kurienreform: Die wichtigste Forderung der Kardinäle in den Beratungen vor dem Konklave. Die Zentrale der größten Glaubensgemeinschaft der Welt hat Züge eines Hofes, die Kommunikation der Räte und Dikasterien untereinander und mit dem Papst ist unzureichend. Es gibt kein Kabinett, das den Papst auch mal kritisch beraten könnte, fast alles ist auf den absoluten Herrscher zugeschnitten. Viele der Pannen in der Amtszeit Benedikts hatten auch hier ihre Ursache. Der neue Papst wird vermutlich den Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, den viele als Personifizierung der Misere sehen, zunächst wieder ins Amt heben - und bald ersetzen. Eine wirkliche Reform wird viel Kraft, Zeit und Konflikte kosten. Der Papst wird Unterstützer innerhalb der Kurie gewinnen müssen. Gegen die Verwaltung kann auch er nicht regieren.

Eigenständige Ortskirchen: Auch das ist ein Wunsch vieler Kardinäle, die keine Filialleiter der Zentrale in Rom sein wollen. Die katholische Weltkirche ist vielfältig geworden. Afrikanische, lateinamerikanische und asiatische Bischöfe verlangen selbstbewusst mehr Freiheit. Wie viel Einheit braucht die katholische Kirche - und wie viel Widersprüchliches kann sie nebeneinander stehen lassen? Was wird aus der Befreiungstheologie, was aus der Integration östlicher und afrikanischer Spiritualität, was aus den Wünschen der Westeuropäer nach mehr Liberalität? Vielleicht werden die nationalen und kontinentalen Bischofskonferenzen aufgewertet, die im Kirchenrecht bislang nur unverbindliche Zusammenschlüsse sind. Das wird jedoch auf Widerstand in der Kurie stoßen.

Globalisierung: Johannes Paul II. sah die katholische Kirche als Vertreterin der Moral im Zeitalter der Globalisierung. Benedikt XVI. dachte weniger politisch. Seine Sozial-Enzyklika "Caritas in Veritate" geht nur am Rande auf die Frage ein, welche ethischen Kriterien in einer Welt der grenzenlosen Finanz-, Daten- und Informationsströme zu gelten hätten. Vor allem die Kirchen in den ärmeren Ländern erhoffen sich von Franziskus eine klare Stellungnahme und ein ebenso klares Engagement.

Innerkirchliche Reformen: Zölibat, Priestertum der Frau, künstliche Verhütungsmittel, wiederverheiratete Geschiedene, Homosexualität - was viele Katholiken in Deutschland interessiert, spielte bei den Beratungen vor dem Konklave kaum eine Rolle. Große Änderungen sind hier auch nicht zu erwarten: Die Festlegungen von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. kann Franziskus nicht so einfach über den Haufen werfen. Außerhalb Europas verstehen viele Katholiken die tolerante Haltung ihrer Glaubensgeschwister im reichen Norden ohnehin nicht. Auch unter dem neuen Papst werden wohl die Katholiken in Nord- und Westeuropa damit leben müssen, dass ihre Kirche hier anderes lehrt, als sie selber glauben. Kleinere Änderungen könnte es geben: In Rom gibt es Überlegungen, ein eigenes Diakonat für Frauen zu schaffen, das jedoch kein Weiheamt ist. Viele deutsche Bischöfe hoffen auf mehr Unabhängigkeit - sie könnten dann eigene Regelungen zum Beispiel für den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen finden.

Glaube und Moderne: Auf der Bischofssynode in Rom im vergangenen Oktober berichteten viele Bischöfe von zunehmender Säkularisierung und Individualisierung in den Gesellschaften ihrer Heimatländer. Im Vatikan hatte man bislang gerne die These vertreten, dies sei ein Minderheitenproblem der Westeuropäer. Die Macht der Kirche als Institution, die sagt, wo es lang geht, wird schwinden. Es wird zunehmend darauf ankommen, was sie an Gedanken, Hoffnungen, glaubwürdigen Personen anzubieten hat. Sie wird ihre Positionen zum Anfang und Ende des Lebens, zur Stammzellforschung und zur Sterbehilfe immer wieder neu begründen und bestimmen müssen. Sie wird immer wieder klären müssen, wie viel Distanz zu den Entwicklungen der Moderne und wie viel Anpassung notwendig ist. Papst Benedikt XVI. war hier Skeptiker und manchmal auch Pessimist: Er forderte 2011 in Freiburg von der Kirche "Entweltlichung".

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Ökumene: Die Zeit der spektakulären Fortschritte ist vorbei, das dürfte sich auch unter Franziskus nicht ändern. Katholiken und Protestanten trennt vor allem das unterschiedliche Kirchenverständnis, und solange das so ist, kann es für die katholische Kirche kein gemeinsames Abendmahl geben. Trotzdem müssen die Konfessionen verstärkt zusammenarbeiten, wollen sie mit ihren gemeinsamen Anliegen gehört werden - den Stand des Erreichten wird ein neuer Papst deshalb wohl auch nicht antasten. Es wird sehr darauf ankommen, welche Worte er für den Stillstand findet, zum Beispiel zum Reformationsjubiläum 2017. Bewegung könnte in die Gespräche der katholischen zur orthodoxen Kirche kommen. Benedikt XVI. hatte zu Beginn seines Pontifikats Hoffnungen bei orthodoxen Kirchenvertretern geweckt, inzwischen aber sind die gegenseitigen Enttäuschungen groß.

Andere Religionen: Johannes Paul II. legte großen Wert auf den interreligiösen Dialog, nicht immer zur Freude der Kurie. Benedikt XVI. hat mit der Regensburger Rede 2006 die Muslime verärgert - und mit der Aufhebung der Exkommunikation für den Traditionalistenbischof Richard Williamson 2009 auch die Juden. Sein Nachfolger wird die Worte wägen müssen. Viele Konflikte der Welt sind religiös aufgeladen, ob im Nahen Osten oder in der Auseinandersetzung der westlich-christlichen Welt mit dem islamistischen Terror.

Piusbrüder: Die Frage, ob die katholische Kirche den Traditionalisten, die Teile des Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnen, einen Platz bieten soll, spielte bei den Kardinälen praktisch keine Rolle. Es war ein großer Wunsch von Papst Benedikt, die endgültige Trennung der Priesterbruderschaft Pius X. von der Kirche zu verhindern. Franziskus muss entscheiden, ob weiterhin das Angebot besteht, dass die Piusbrüder einen verhältnismäßig eigenständigen Platz in der Kirche bekommen, wenn sie sich im Gegenzug den wichtigen Beschlüssen des Konzils verpflichten.

© SZ vom 14.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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