Inhaftiert in Griechenland:"Warum bin ich hier?"

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Sara Mardini hat 2016 einen Bambi dafür erhalten, dass sie das Flüchtlingsboot an Land zog. Den Bambi erhielt sie in der Kategorie "Stille Helden". (Foto: Clemens Bilan/dpa)
  • Gemeinsam mit ihrer Schwester zog die professionelle Schwimmerin Sara Mardini ein manövrierunfähiges Flüchtlingsboot an Land.
  • Im August wurde sie auf der griechischen Insel Lesbos festgenommen. Seither ist sie inhaftiert. Die Vorwürfe lauten unter anderem auf Menschenschmuggel und Spionage.
  • Neben Mardini sind noch weitere Helfer eine deutschen Hilfsorganisation. Eine Anwältin der Organisation sagt, Griechenland kriminalisiere Solidarität.

Von Stefan Braun und Christiane Schlötzer, Athen/Berlin

Korydallos ist das größte Gefängnis Griechenlands, es liegt im Süden von Athen. Eine Hochsicherheitshaftanstalt von zweifelhafter Berühmtheit. Putschisten waren dort untergebracht, Terroristen, Mörder. "Warum bin ich hier?", hat Sara Mardini ihre Anwältin gefragt. Die konnte das der jungen Frau auch nicht so genau sagen, sie bat um Geduld.

Sara Mardini, 23, lebte bis zum Sommer 2015 in Damaskus. Die Syrerin und ihre jüngere Schwester Yusra, zwei professionelle Schwimmerinnen, haben dann ein überfülltes, manövrierunfähiges Flüchtlingsboot schwimmend ans Ufer der griechischen Insel Lesbos gezogen. Die Schwestern wurden danach sehr berühmt, Yusra trat im Flüchtlingsteam bei den Olympischen Spielen in Rio an, traf Barack Obama und den Papst. Sara Mardini aber kehrte immer wieder nach Lesbos zurück, für eine Organisation, die Flüchtlingen half.

Am 21. August wurde sie auf der Insel festgenommen. Die Vorwürfe lauten: Menschenschmuggel, Spionage, Geldwäsche, Bildung einer kriminellen Vereinigung. Bei einer Haftprüfung entschied ein Richtergremium am Dienstag, dass Mardini in Korydallos bleiben muss. Die Begründung: Es bestehe Fluchtgefahr, schließlich habe sie keine feste Adresse in Griechenland. Und sie könnte ihre "kriminellen Taten" ja auch wiederholen.

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"Absurd", sagt Florian Becker. Er ist Leiter des Bard College Berlin. An der privaten Hochschule sind 300 junge Menschen aus 60 Ländern eingeschrieben, es wurden mehrere Stipendien an Studierende "aus Krisenregionen" vergeben, auch an Sara Mardini. Becker gab seiner Studentin zuletzt ein Freisemester, "weil sie nach Lesbos wollte". Eine Hilfsorganisation hatte Mardini, wohl wegen ihrer Bekanntheit, über Facebook kontaktiert, sagt ihre Athener Anwältin Clio Papapantoleon. Die griechische Hilfsorganisation trägt den englischen Namen Emergency Response Center International (ERCI). Sie war schon länger im Visier der griechischen Behörden. Im Februar, so die Polizei, habe man einen Jeep der Organisation auf Lesbos kontrolliert und dabei unter dem regulären Nummernschild ein zweites gefälschtes Armeenummernschild gefunden. Dazu ein nicht registriertes Funkgerät.

Mardinis Anwältin sagt: "Wie kann man von einer Flüchtlingshelferin verlangen, dass sie erst prüft, ob unter einem Nummernschild noch ein zweites ist, wenn sie in ein Auto einsteigt?" Auf ihrem Schreibtisch liegt ein dicker Packen Papier, mehrere Hundert Seiten Ermittlungsergebnisse gegen die Organisation. Darin findet sich auch der Verdacht, die Flüchtlingshelfer hätten sich in Whatsapp-Gruppen über ankommende Flüchtlingsboote ausgetauscht, ihr Wissen aber nicht mit den Behörden geteilt, sich vielmehr mit Schleppern auf der türkischen Seite der Ägäis abgesprochen. Die Vorwürfe richten sich gegen die Führung der Organisation, gleichzeitig aber auch gegen 30 Mitwirkende bei Ersthilfe und Spendensammlung.

In Haft sind bislang vier Helfer: Mardini, der 24-jährige Deutsche Sean Binder, ein Grieche und eine Griechin, die beide an führender Stelle der Organisation tätig waren. Deren Gründer und Chef hat sich der Polizei noch nicht gestellt. Der Mann betreibt auch eine Firma für "Sicherheit auf See" und war früher im griechischen Militär, ebenso wie sein verhafteter "Field Director". Die Organisation bestreitet auf ihrer Webseite alle Vorwürfe und verspricht "volle Transparenz". Sie habe Vertrauen in die Unabhängigkeit der griechischen Justiz, heißt es da.

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Die Anwältin sagt, die Organisation habe auf Lesbos Zugang zu den Camps gehabt, der Staat habe ihr damit "Legitimität" gegeben. Durch das Vorgehen der Polizei werde "Solidarität kriminalisiert", auf die Hilfsorganisationen in Lesbos könne aber niemand verzichten, die Situation dort sei schlimm. Migrationsminister Dimitris Vitsas nannte sie jüngst "grenzwertig".

In Lesbos hatte die Polizei vor den Festnahmen mehr als ein Dutzend Häuser durchsucht. In den Akten stehen genaue Daten, an denen die Gruppe angeblich auf der Insel tätig war. Becker hat die Daten mit den Stundenplänen seines Colleges abgeglichen und viele Tage gefunden, "an denen Sara mit Sicherheit in Berlin war". Der Lehrer sagt: "Das können wir beweisen." Untersuchungshaft kann in Griechenland bis zu 18 Monate dauern, dann muss spätestens ein Prozess beginnen. Ob es dazu kommt, entscheidet ein Richter nach der Würdigung aller Beweismittel. Davor werden Mardinis Anwälte in Athen und Lesbos noch eine oder mehrere "Petitionen" für eine erneute Haftprüfung einreichen.

Vertreter der deutschen Botschaft in Athen haben Sara Mardini und Sean Binder schon mehrfach besucht. Binders Vater kam einst als vietnamesischer Bootsflüchtling nach Deutschland, inzwischen lebt er in Irland. Sara Mardini hat in Deutschland Flüchtlingsstatus. Der läuft bald aus. Becker hofft auf eine "unbürokratische Verlängerung". Eigentlich müsste Mardini dazu in Berlin persönlich erscheinen. Die Anwältin sagt, selbst wenn die Syrerin demnächst aus der Haft entlassen werde, müsse sie wohl wegen eines Prozesses erst einmal in Griechenland bleiben, wahrscheinlich auf Lesbos.

© SZ vom 13.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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