Prozess in Gießen:Freispruch im Fall der Würth-Entführung

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Der Angeklagte Nedzad A. (rot-weiße Jacke) während eines Prozesstages vor dem Landgericht Gießen im September. (Foto: dpa)
  • Im Juni 2015 wurde der Unternehmersohn Markus Würth entführt; einen Tag später fand die Polizei ihn in einem Wald, angekettet an einen Baum.
  • Drei Jahre später nahm die Polizei einen Verdächtigen fest.
  • Nedzad A. ist freigesprochen worden - er hat die Tat bis zuletzt bestritten.

Im Fall der Entführung des Industriellensohnes Markus Würth ist der Angeklagte Nedzad A. freigesprochen worden. Das Gericht sah es nicht als erwiesen an, dass der 48-Jährige die Verschleppung im Juni 2015 organisiert hat, um von der wohlhabenden Familie Würth drei Millionen Euro zu erpressen.

Damit folgte das Landgericht Gießen der Verteidigung, die für einen Freispruch plädiert hatte. Es gebe "kein einziges Indiz", das auf den Angeklagten als Täter hinweise, erklärte sie. Die Staatsanwaltschaft hatte dagegen dreieinhalb Jahre Haft gefordert. Sie begründetet dies damit, dass die Analysen einer Sprachaufnahme und von Handy-Daten Nedzad A. als Täter identifizieren würden. Doch dem Gericht reichte dies nicht für eine Verurteilung aus. Es "bleiben Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten", begründete der Vorsitzende Richter den Freispruch.

Würth-Entführung
:Die verräterische Stimme des Handwerkers

Eine Sprachaufnahme verriet ihn: In Hessen steht ein Mann vor Gericht, der an der Entführung des Industriellen-Sohnes Markus Würth beteiligt gewesen sein soll.

Von Susanne Höll

Der damals 50-jährige Markus Würth lebte in einer Hof- und Wohngemeinschaft im hessischen Schlitz. Von dort aus wurde er verschleppt, eine Geldübergabe an die Entführer scheiterte. Die Polizei fand den unverletzten Würth einen Tag später in einem Wald bei Würzburg, angekettet an einen Baum. Dass Entführungen dieser Art so enden, sei sehr ungewöhnlich, sagen Ermittler. Möglicherweise ließen die Entführer Würth am Leben, weil er seit seiner Kindheit nach einer misslungenen Impfung geistig behindert ist und nicht sprechen kann.

Die Suche nach den Tätern gestaltete sich schwierig. Erst drei Jahre später konnten die Ermittler einen Tatverdächtigen festnehmen - den nun freigesprochenen Nedzad A. Ausschlaggebend für seine Festnahme war die Analyse einer Sprachaufnahme des Entführers. Dabei kam heraus, dass der Mann aus dem früheren Jugoslawien stammt und in Frankfurt oder Offenbach gelebt haben muss, weil er einen für diese Region typischen Klang in der Stimme hat.

Nach Öffentlichkeitsfahndungen, unter anderem im TV-Kriminalfallmagazin "Aktenzeichen XY... ungelöst", meldete sich Anfang des Jahres eine Zeugin aus dem Rhein-Main-Gebiet bei der Polizei, die meinte, die Stimme des Mannes wiedererkannt zu haben. Nedzad A. wurde in Offenbach festgenommen. Gutachter kamen nach einem Vergleich der Stimme des Angeklagten mit der Erpresserstimme zu dem Ergebnis, dass die Sprecher "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" identisch seien.

Die Ermittler gingen nicht davon aus, dass er die Entführung selbst durchgeführt hat. Vielmehr sei er der Verbindungsmann der Gruppe zu der Familie Würth gewesen, unter anderem habe er die Modalitäten für die Geldübergabe an die Familie übermittelt, so der Vorwurf. Im Prozess hat Nedzad A. die Anschuldigungen zurückgewiesen. Weitere Spuren gibt es nicht.

Der Freispruch kam nicht vollends unerwartet. Schon nach der Festnahme des Verdächtigen im Frühjahr in Offenbach hatten Beobachter daran gezweifelt, ob einem Aushilfs-Handwerker eine Beteiligung an einer solchen Tat zuzutrauen sei. Zudem hatte sich im Prozess die Hauptbelastungszeugin, die Frau aus dem Rhein-Main-Gebiet, welche die Stimme des Entführers als die des Angeklagten wiedererkannt haben wollte, Zweifel an ihrer eigenen Aussage geäußert. Allerdings hatte sich das Gericht im Lauf der Verhandlung geweigert, den Antrag der Verteidigung zu folgen und den Mann auf freien Fuß zu setzen. Das wiederum war von manchen Beobachtern als Hinweis auf eine Verurteilung interpretiert worden, irrigerweise, wie sich nun bei der Urteilsverkündung zeigte.

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