Würth-Entführung:Die verräterische Stimme des Handwerkers

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Der 48-jährige Angeklagte (r.) steht zum Prozessbeginn im Gerichtssaal des Landgerichts neben seinem Verteidiger Alois Kovac. (Foto: Arne Dedert/dpa)
  • Im Juni 2015 wurde der Unternehmersohn Markus Würth entführt; einen Tag später fand die Polizei ihn in einem Wald, angekettet an einen Baum.
  • Durch die Analyse einer Sprachaufnahme konnte ein Handwerker ausfindig gemacht und festgenommen werden.
  • Dem 48-jährigen Nedzad A. wird nun vor Gericht vorgeworfen, an der Entführung beteiligt gewesen zu sein. Er bestreitet das.

Von Susanne Höll, Gießen

Dass Nedzad A. ein sehr redseliger Mensch sein soll, zeigt sich an diesem Dienstag im Gießener Landgericht nicht. 48 Jahre alt ist der gebürtige Serbe, ein hochgewachsener, kräftiger Mann, der gerade sehr nervös ist. Kein Wunder, der Handwerker aus Offenbach steht im Mittelpunkt des in mancherlei Hinsicht außergewöhnlichen Prozesses um die Entführung des behinderten Industriellen-Sohnes Markus Würth im Juni 2015.

Kameras und Fotoapparate klicken, als Justizvollzugsbeamte A. in den Saal führen und ihm die Handfesseln abnehmen. Er soll, davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt, einer der Männer sein, die seinerzeit die Verschleppung organisierten, mit dem Ziel, von der wohlhabenden Familie Würth drei Millionen Euro zu erpressen.

Der Angeklagte habe viel erzählt, aber die Anschuldigungen zurückgewiesen

Der damals 50-jährige Markus Würth lebte in einer Hof- und Wohngemeinschaft im hessischen Schlitz; von dort wurde er verschleppt. Das Kidnapping ging allerdings glimpflich aus, die Entführer ließen ihr Opfer am Leben. Vielleicht auch deshalb, weil Markus Würth wegen eines Impfschadens im Kleinkindalter nicht sprechen kann. Man fand ihn in einem Waldstück bei Würzburg, körperlich war er unversehrt. Das passiert nicht oft bei solchen Verbrechen, wenn eine Geldübergabe zuvor scheitert. Und dies sollte für die Ermittler nicht die einzige Überraschung in diesem Fall bleiben.

Der Angeklagte bestreitet seit seiner Festnahme die Tat. Bei den Vernehmungen, so berichteten die Fahnder, sei er äußerst gesprächig gewesen, habe viel erzählt, aber die Anschuldigungen zurückgewiesen. Zum Auftakt des Prozesses äußert sich A. nur knapp. Er sagt seinen Namen, sein Alter. Der Akzent verrät, dass seine Muttersprache Serbokroatisch ist. Richter Jost Holtzmann möchte wissen, woher genau er stammt. A. hatte offenkundig eine andere Frage erwartet, antwortet, er sei verheiratet und habe zwei Töchter. Das muss die Aufregung sein, denn die deutsche Sprache beherrscht er.

A. wird vorgeworfen, der Verbindungsmann der Kidnapper gewesen zu sein, ihr Sprachrohr

Die Ermittler werfen A. nicht vor, das Opfer in Schlitz gekidnappt zu haben. Er soll der Verbindungsmann der Gruppe zur Familie Würth gewesen sein, ihr Sprachrohr, wenn man so will. A. habe sich zwei Handys besorgt, drei Telefonkarten, mehrfach Kontakt mit der Mutter des Opfers gesucht und sich zur Tarnung zunächst als Arzt an einer Klinik in Fulda ausgegeben, sagt Oberstaatsanwalt Frank Späth. Später habe A. die Modalitäten für die Geldübergabe an die Familie übermittelt und, als diese scheiterte, genau den Ort beschrieben, wo man den Sohn finden konnte. A., er trägt Jeans, T-Shirt und weiße Turnschuhe, lauscht der Anklage im Gerichtssaal scheinbar unbewegt.

Von den Mittätern, die nach Ansicht der Fahnder beteiligt waren, gibt es bislang keine Spur. Dass die Behörden auf den Angeklagten stießen, verdanken sie einem schier unglaublichen Zufall. Jahrelang hatten die Beamten aus Mittelhessen nach den Entführern gesucht, auch mit öffentlichen Fahndungen, vergeblich allerdings.

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Schließlich ließ man die gespeicherten Sprachaufnahmen analysieren, von Experten des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden und Wissenschaftlern der Universität Marburg. Die kamen zu dem Schluss, dass der Mann auf der Tonaufnahme zur Tatzeit zwischen 40 und 42 Jahre alt gewesen sein dürfte, um die Jahrtausendwende aus dem einstigen Jugoslawien nach Deutschland kam und zwischen Frankfurt und Offenbach gelebt haben müsse. Die Stimmproben wurden publik gemacht. Und im Januar dieses Jahres meldete sich schließlich eine Dame aus der Region bei der Polizei. Sie zeigte sich fest davon überzeugt, dass die Stimme des Mannes die des Handwerkers A. aus Offenbach sei, der unlängst bei ihr ausgeholfen habe.

Wenn A. seine Beteiligung an der Entführung weiter bestreitet, wird es ein Indizienprozess werden, im Mittelpunkt steht dann das Gutachten der Sprachforscher. Ob die Verteidigung ein Gegengutachten vorlegen wird, ist unklar. A.s Anwalt Alois Kovac will zum Prozessauftakt keine Erklärungen abgeben. So erfährt man nicht, ob A. tatsächlich in Geldnot war, wegen Spielschulden, so wie es die Ermittler nach seiner Festnahme darstellten.

Einen neuerlichen Erpressungsversuch der Familie Würth im Jahr 2017 legt die Staatsanwaltschaft A. jedoch offenkundig nicht zur Last. In verschlüsselten E-Mails war die Familie aufgefordert worden, 70 Millionen Euro in einer Krypto-Währung zu zahlen, um weitere Entführungen zu vermeiden. Als die Fahnder dies im März berichteten, kam prompt die Frage auf, ob man einem zugewanderten Gelegenheitshandwerker ein solches Vorgehen wirklich zutraue. Eine klare Antwort darauf fand sich nicht. Sollte A. am Ende des Prozesses, der voraussichtlich bis Dezember laufen wird, verurteilt werden, muss er mit einer Haftstrafe zwischen fünf und 15 Jahren rechnen.

© SZ vom 12.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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