Fall Würth:"Der Tätertyp ist bei Entführungen sehr speziell"

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Frank Roselieb ist Direktor des Kieler Instituts für Krisenforschung und berät Familien und Unternehmen bei Entführungen. (Foto: ; oH)

Der Kieler Krisenforscher Frank Roselieb erklärt, warum es in Deutschland fast jede Woche eine Entführung gibt, die Täter aber meistens festgenommen werden.

Interview von Anna Fischhaber

Vor zweieinhalb Jahren wurde der behinderte Sohn der Milliardärsfamilie Würth entführt. Der Fall hatte damals aufgrund der mysteriösen Umstände Schlagzeilen gemacht: Einen Tag nach der Entführung wurde das Opfer bei Würzburg an einen Baum gefesselt gefunden, zu einer Geldübergabe kam es trotz einer Lösegeldforderung nie. Nun hat eine Zeugin den entscheidenden Hinweis für die Verhaftung des mutmaßlichen Täters geliefert. Frank Roselieb, Direktor des Kieler Instituts für Krisenforschung, berät Familien und Unternehmen bei Entführungen und erklärt warum der Tätertyp bei dieser Verbrechensart sehr speziell ist.

SZ: Wie oft werden Menschen in Deutschland entführt?

Frank Roselieb: Wir gehen von etwa sechzig bis achtzig Entführungen pro Jahr aus. Dies schließt eine gewisse Dunkelziffer ein, weil nicht alle Fälle bei der Polizei angezeigt werden. In etwa einem Drittel der Fälle wird die Tat vereitelt, weil sich die Opfer wehren können und weglaufen. Bleiben etwa 40 bis 60 Fälle - jede Woche wird im Durchschnitt also ein Mensch in Deutschland entführt. Die Öffentlichkeit bekommt davon in der Regel nur wenig mit, weil die Polizei Nachahmungstaten verhindern will.

Im Fall Würth wurde nun ein Tatverdächtiger festgenommen. Was sind Kidnapper für Typen von Verbrechern?

Soweit ich weiß, handelt es sich bei dem Tatverdächtigen um einen Offenbacher mit serbisch-montenegrinischer Staatsbürgerschaft. Der Tätertyp ist bei Entführungen sehr speziell: Der Ausländeranteil ist mit fast 50 Prozent relativ hoch und die Täter sind oft vorbelastet. Eine Entführung ist sehr aufwendig und man benötigt dafür ein hohes Maß an Brutalität. Man muss das Opfer ausspionieren und dann versorgen und gleichzeitig Kontakt mit der Familie oder der Polizei halten. Ein Banküberfall mit vorgehaltener Waffe ist vielleicht der größere Adrenalinkick, aber einfacher zu bewerkstelligen, weil er schneller vorbei ist. Eine Entführung macht man deshalb eher nicht am Anfang seiner kriminellen Laufbahn, sondern am Ende. Zudem stammt das Opfer oft aus der gleichen Region wie der Täter. Oft funktioniert das nach dem Prinzip: Ich kenne da einen Reichen in der Nachbarschaft, der fährt ein dickes Auto und hat Familie. In diesem Fall ging der Tat eine Fernsehdokumentation voraus: Sie zeigte nicht nur den Milliardär Reinhold Würth, sondern auch ein Foto seines Sohnes. Dazu wurde dessen Geschichte erzählt und dass er in einer Behinderteneinrichtung in Nordhessen untergebracht sei.

Das klingt als hätte es der Täter relativ leicht gehabt?

Reinhold Würth hat ganz sicher einen Fehler gemacht, indem er seinen Sohn und dessen Aufenthaltsort so offen erwähnt hat. Wir gehen davon aus, dass der Täter semiprofessionell vorgegangen ist. Zum einen hat er mutmaßlich sein Gesicht verdeckt, anders als etwa im Fall der 17-jährigen entführten Anneli, wo die Täter unmaskiert waren und ihnen zur Vertuschung ihrer Identität am Ende nur noch die Ermordung des Opfers blieb. Zum anderen hat der Würth-Entführer aber offenbar doch Skrupel bekommen und den Sohn relativ schnell wieder freigelassen. Überführt wurde er schließlich über seine Stimme. Allerdings heißt das nicht, dass er sie nicht verfremdet hat - die Polizeitechnik ist inzwischen nur relativ weit.

Wie oft sind Entführungen überhaupt erfolgreich?

Relativ selten, neun von zehn Tätern werden geschnappt. Wenn nicht bei der Geldübergabe, dann oft wenn sie das Geld einlösen - wie im Fall Reemtsma. Oder weil sie hinterher mit ihren Taten prahlen. Die hohe Erfolgsquote liegt auch daran, dass die Polizei bei Entführungen mit enormem Fahndungsdruck und oft riesigen Sonderkommissionen arbeitet. Im Fall Anneli waren es bis zu 1200 Beamte. Die Angehörigen müssen versorgt werden, dann versuchen die Beamten das Handy des Opfers zu orten, Telefon und Internet werden überwacht, falls sich der Täter meldet, DNA-Analysen gemacht. Dadurch ist die Zahl der Entführungen deutlich zurückgegangen. Wenn Autodiebstähle oder Einbrüche mit so viel Aufwand untersucht würden, wäre hier die Erfolgsquote sicher auch höher.

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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