Der Mercedes, der an der roten Ampel steht, ist nicht zu überhören. Der Auspuff ist nicht original, so laut wie der Wagen ist. Das Auto ist schon etwas älter, sieben Jahre, vielleicht zehn. Es ist tiefergelegt, hat Breitreifen, wahrscheinlich auch etwas mehr Leistung als damals, als es frisch von Band rollte. Es ist keines dieser getunten Liebhaberautos, wie sie perfekt hergerichtet auf Shows und Messen gezeigt werden. Dieser Mercedes sieht eher ein bisschen schäbig aus.
Genau wie der BMW, der in diesem Moment neben ihn an die Ampel rollt. Die Fahrer verständigen sich kurz, geben sich Handzeichen. Ein paar Gasstöße im Leerlauf sind das Zeichen, dass es bald losgeht. Als die Ampel auf Grün springt, geben sie Vollgas. Schnell geht es auf 50 Kilometer pro Stunde, dann 80, 100, 120. Nun wird auch den Passanten klar, worum es den beiden geht. Sie fahren ein illegales Rennen - und bringen damit sich und die anderen Verkehrsteilnehmer in höchste Gefahr.
Bundesrat beschließt Gesetzesverschärfung
Es ist eine fiktive Szene, die Experten zufolge aber sehr typisch ist für die Ringstraßen von Städten wie Köln, Berlin oder Mannheim. Die Rennen enden nicht immer in Unfällen. Aber wenn etwas passiert, sind die Folgen meist verheerend. Allein seit März 2015 gab es bundesweit zwölf schwere Unfälle, die sich eindeutig auf illegale Autorennen zurückführen lassen oder bei denen die Polizei in diese Richtung ermittelt. Sechs Menschen starben, 13 wurden verletzt, viele von ihnen schwer. Die meisten der Opfer waren Unbeteiligte, die mit ihrem Auto im falschen Augenblick die Straße kreuzten oder als Fußgänger oder Radfahrer von den Autos der Raser erfasst wurden.
Die Polizei kämpft schon lange gegen das Phänomen. Nun sollen mit einer Gesetzesänderung die Strafen verschärft werden. Bisher haben Teilnehmer illegaler Autorennen nämlich nicht sonderlich viel zu befürchten. Wenn sie zu schnell fahren, können sie zum Beispiel wegen überhöhter Geschwindigkeit belangt werden. Außerdem verbietet die Straßenverkehrsordnung die "übermäßige Straßenbenutzung", worunter explizit auch Rennen fallen (Paragraf 29 StVO). Doch dabei handelt sich lediglich um eine Ordnungswidrigkeit. Maximale Strafe: 400 Euro Bußgeld, ein Monat Fahrverbot.
Künftig droht den Fahrern Gefängnis, die Teilnahme an einem illegalen Autorennen soll eine Straftat werden. "Hier machen Leute Wettbewerbe auf Kosten anderer", sagt der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty (SPD), der im Juli mit Unterstützung aus Hessen einen entsprechenden Entwurf im Bundesrat einbrachte. Die Länderkammer hat dem Antrag an diesem Freitag zugestimmt. Jetzt muss sich der Bundestag damit beschäftigen. Bis zu zwei Jahre Haft und ein Entzug der Fahrerlaubnis sind als Strafe vorgesehen. Wird bei einem Rennen jemand schwer verletzt oder getötet, sollen bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe drohen.
Ein überfälliger Schritt, sagt André Bresges von der Universität Köln. Im Auftrag der Polizei forschte der Professor für Physikdidaktik viele Jahre zu diesem Thema. Er ist der Ansicht, dass die Raser ihr Auto als Waffe benutzen. Dies sei die gefährlichste Form der Technologienutzung "und muss deshalb ein Straftatbestand sein", sagt Bresges. Seine Argumente verdeutlicht er mit drastischen Zahlen: Im Jahr 2013 waren in Deutschland mehr als 43 Millionen Pkw zugelassen, es gab mehr als 290 000 Unfälle mit Personenschaden, mehr als 3300 Menschen wurden dabei getötet. Im gleichen Jahr waren hierzulande 5,5 Millionen Schusswaffen registriert; mit ihnen stehen elf tödliche Unfälle im Zusammenhang. Bresges' Schlussfolgerung: "Wären Schusswaffen so gefährlich wie Autos, hätten im gleichen Jahr 552 Menschen durch Unfälle mit Schusswaffen getötet werden müssen."
Seine Heimatstadt sieht Bresges als klaren Hotspot der Autoraser-Szene - und das hat Gründe: "Köln hat ein großes ländliches Einzugsgebiet. Anders als die Jugendlichen in der Stadt definieren die Menschen ihre Persönlichkeit dort sehr stark über das Auto." Allerdings suchen die Raser eine Bühne, die sie auf dem Land nicht finden. Also fahren sie in die Stadt. Dort gibt es breite, zweispurige Ringstraßen, auf denen zwei Autos nebeneinander herfahren können. "Das Risiko, Dritte zu verletzten oder zu töten, nehmen sie in Kauf. Ob andere eine schlechte Meinung davon haben, ist ihnen egal, denn es geht ja allein um sie selbst", sagt Bresges.
Illegale Autorennen sind, anders als man vermuten könnte, nicht allein ein Problem junger, risikobereiter Fahrer als der Tuning-Szene. So nehmen Bresges zufolge immer mehr ältere Männer an den Rennen teil, die sich teure und leistungsstarke Autos leisten können. Die jüngeren Fahrer treten vermehrt mit Mietwagen oder Carsharing-Autos an. In welchem Auto ein Raser sitzt, wird deshalb zunehmend irrelevant: "Er ist jetzt nur noch auf der Piste, will nur noch gewinnen - koste es, was es wolle", sagt der Experte.
Doch mit härteren Strafen allein wird man die Autoraser nicht erreichen, das ist auch Bresges klar. "Repression muss immer mit Information in Verbindung stehen." Deshalb haben die Uni Köln und die nordrhein-westfälische Polizei vor einigen Jahren das Projekt "Crash Kurs NRW" initiiert. Gemeinsam veranstalten sie Workshops an Schulen, um Zehnt- und Elftklässlern verantwortungsvolles Verhalten im Straßenverkehr zu vermitteln. Denn so richtig die geplante Gesetzesinitiative aus Sicht von Experten ist, sie alleine wird die Zahl illegaler Autorennen nicht senken, findet Bresges: "Es hat keinen Sinn, eine drakonische Strafe einzuführen, von der keiner weiß, dass sie überhaupt existiert."
Mitarbeit: Leila al-Serori, Oliver Klasen