Muslime sehen den Koran als das Wort Gottes an, als Maß aller Dinge, an dessen Vorschriften sie sich orientieren. Daher nimmt der Koran in ihrem Alltag den wichtigsten Platz ein. Wer auch nur ein wenig an seinem Wortlaut rüttelt, einen Teil von ihm ablehnt oder ihn gar als Menschenwerk betrachtet, gilt manchen als Häretiker. Das Leben des Propheten und dessen religiöses und politisches Handeln kritisch zu hinterfragen, scheint ebenso tabu zu sein. Das Bild eines vollkommenen Lebens ohne Sünden muss aufrechterhalten werden und dient als ewig gültiges, gottgegebenes Vorbild.
Mohammed (570-632) war jedoch nicht nur der anerkannte Verkünder einer göttlichen Botschaft, sondern auch der weltliche Führer, der meisterlich die Macht des Wortes mit der Gewalt des Schwertes vereinte. Indem er sich auf autoritative Koranstellen bezog, griff Mohammed von 624 an in Medina gegen seine Widersacher zur Gewalt, etwa gegen arabische Heiden, Christen und Juden.
"Führe uns den geraden Weg", heißt es in der ersten Sure des Koran
Eine sinnstiftende Legitimation dafür sind die sogenannten Schwertsuren. In Sure 9 des Korans - etwa ein Jahr vor dem Tod des Propheten offenbart - werden die Muslime aufgefordert, gegen jene zu kämpfen, "die nicht an Gott und auch nicht an den Jüngsten Tag glauben, die das, was Gott und sein Gesandter verboten haben, nicht verbieten und nicht der wahren Religion angehören - unter den Schriftbesitzern -..." (Vers 29).
In Vers 33 wird der Islam als wahre Religion bezeichnet. Gott werde der Gemeinde zum Sieg über alle Religionen verhelfen. Auch in der letzten offenbarten Sure 5, Vers 33, ist zu lesen: "Der Lohn derer, die gegen Gott und seinen Gesandten Krieg führen und überall im Land eifrig auf Unheil bedacht sind, soll darin bestehen, dass sie umgebracht oder gekreuzigt werden, oder dass ihnen wechselweise (rechts und links) Hand und Fuß abgehauen wird, oder dass sie des Landes verwiesen werden."
Aus einigen Koranpassagen geht eine "symbolische Gewalt" hervor. Symbolische Gewalt operiert dezent und alltäglich und sichert die Anerkennung von Herrschaftsordnungen. In den Teilen des Korans, die in Medina offenbart wurden, findet sich ein ganzes Sündenregister von Juden, Christen und arabischen Heiden, das letztendlich als Rechtfertigung für den bewaffneten Umgang des Propheten dient. Durch die alltägliche Rezitation dieser umstrittenen Verse legitimieren viele Muslime bis heute unbewusst diese Gewalt im religiösen Leben.
Experiment:Was passiert, wenn man aus der Bibel vorliest und behauptet, es sei der Koran
Ein soziales Experiment in den Niederlanden - mit entlarvendem Ergebnis.
Wenn sie das tägliche Gebet praktizieren, rezitieren die Muslime jeden Tag siebzehn Mal die erste Sure des Koran, "die Eröffnende". In dieser Sure, die offenbar aus der medinensischen Epoche stammt, wird gebetet: "Führe uns den geraden Weg, den Weg derer, denen Du Gnade erwiesen hast, nicht den Weg derer, die Deinem Zorn verfallen sind und irregehen!" (Vers 6-7). Die gesamte muslimische Koranexegese ist der Auffassung, dass sich der zweite Teil auf Juden und Christen bezieht. In Sure 2, Vers 120, werden sowohl Mohammed als auch die Muslime aufgefordert, Juden und Christen zu meiden.
In Sure 3, Vers 85 ist zu lesen, dass keine andere Religion als Ersatz für den wahren Glauben an Gott dienen kann. Bereits in Vers 19 derselben Sure wird mit Nachdruck betont, dass der Islam die einzig wahre Religion sei. Die Umma (die Gemeinschaft der Muslime) wird sogar als die beste Gemeinschaft bezeichnet, die Gott den Menschen gestiftet habe (Koran 3:110).
Dadurch werden die Muslime in ihrem religiösen Überlegenheitsgefühl als Inhaber der absoluten Wahrheit bestärkt. Die klare Unterscheidung zwischen Gläubigen und Ungläubigen ist das fundamentale Denkschema der Muslime. Seine Dualität prägt das Denken auch in anderen Bereichen, dient zur Orientierung in der sozialen und religiösen Lebenswelt und bringt dementsprechende Praktiken hervor.
Die Lösung der Gewaltfrage besteht nicht in einem Aufstand der Anständigen
Zweifelsohne bieten solche Koranpassagen Anknüpfungspunkte für die heutige Gewalt im Islam. Diese radikalen Koraninhalte dürfen nicht mehr verharmlost und ignoriert werden. Der interreligiöse Dialog ist zum Scheitern verurteilt, solange die Muslime sich nicht deutlich dagegen positionieren. Die zwischen 622 und 632 in Medina verkündeten Koranpassagen müssen in ihrem historischen Kontext verstanden werden. Sie haben als historisch-politische Äußerungen nur eine temporäre Gültigkeit für das siebte Jahrhundert.
Die Lösung der Gewaltfrage im Islam besteht nicht in einem muslimischen Aufstand der Anständigen. Mahnwachen sind eine bequeme kosmetische Korrektur. Die Muslime müssen endlich die kanonischen Quellen ihres Glaubens (den Koran und die Tradition des Propheten) kritisch infrage stellen. Ein Islam ohne eine mutige Islamkritik ist zum Scheitern verurteilt, vor allem im Westen. Wir benötigen dringend ehrliche Kritikerinnen und Kritiker, die den Finger in die Wunden des historischen Verdrängens legen. Gefragt sind humanistische Muslime, die ohne Scheu unangenehme Wahrheiten aussprechen.
Akzentuiert muss betont werden, dass der nicht reformierte Islam keine Religion des Friedens ist. Das gehört zur Redlichkeit einer islamischen Theologie und Religionspädagogik. Es reicht aber nicht, die Offenbarung des Korans in ihrer historischen Entstehungssituation zu verstehen. Darüber hinaus muss auch eine Methode entwickelt werden, welche den Islam auf der Grundlage einer kritischen Reflexion von der Macht dieser umstrittenen Koranverse befreit.
Meiner Meinung nach ist nur der in Mekka offenbarte Koran (610-622) zeitlos, weil er universell sinnstiftende Lehren im ethischen Sinne beinhaltet. Sowohl der in Medina (622-632) offenbarte Korantext als auch der historische Prophet als Staatsmann sind im Westen dringender denn je kritisch zu betrachten und revisionsbedürftig, sonst bleibt ein Islam, der mit den europäischen Werten vereinbar ist, ein Wunschtraum.