Frankreich:Liebesbriefe vom "Staatsfeind Nummer eins"

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Man nannte Jacques Mesrine auch den "Mann mit den tausend Masken", weil er sich oftmals verkleidete, um nicht erkannt zu werden. (Foto: imago/Zuma/Keystone)

Er mordete, entführte, raubte: Jacques Mesrine gilt bis heute als einer der berühmtesten Verbrecher Frankreichs, jahrelang hielt er das Land in Atem. Nun werden 400 Briefe versteigert, die er aus dem Gefängnis an eine seiner vielen Geliebten schrieb. Über die schwülstige Poesie eines Gewalttäters.

Von Martin Zips

Dass Männer zu diesem oder jenem Schlimmen neigen und daher dringend eines Korrektivs benötigen, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Doch erstaunlich oft geht es noch auf, das machistische Konzept aus "Dicke Hose und schnelles Auto". Sogar in der Politik sind sie gerade wieder auf dem Vormarsch, diese Alphatiere mit ihren Motorsägen und Golfschlägern, ihren Luxusyachten und Traumschlössern.

In Paris kommen von Donnerstag an etwa 400 Briefe unter den Hammer, die der französische Gangster Jacques Mesrine einst seiner Geliebten Jeanne Schneider schrieb. Mesrine galt in den Sechziger- und Siebzigerjahren in Frankreich als "Staatsfeind Nummer eins" (so nannte ihn etwa Präsident Valéry Giscard d'Estaing). Mal überfiel er gleich zwei Banken an einem Tag, dann nahm er einen Richter während der Verhandlung als Geisel oder empfing einen Kommissar bei seiner Festnahme mit Champagner und Zigarren. Das Publikum dankte Mesrine mit einer Mischung aus Abscheu und Begeisterung, mit einer fast hybristophilen Leidenschaft. (Hybristophilie nennt man es, wenn sich Betroffene von Schwerverbrechern angezogen fühlen.)

Eine ebenso große Faszination übte seine Geliebte Jeanne Schneider auf den Boulevard aus, ein ehemaliges Callgirl, dessen Zuhälter von Mesrine angeblich erschossen worden war. In Kanada arbeiteten die beiden als Hausangestellte für einen Millionär mit Behinderung, dann entführten sie diesen und übernachteten in einem Motel, dessen Besitzerin später erwürgt aufgefunden wurde. Vergleiche zum US-Gangsterpärchen Bonnie und Clyde boten sich an, das öffentliche Tribunal verlangte: lebenslange Haft und Reue!

Eine Reporterin wurde der "Verherrlichung von Verbrechen" bezichtigt

Doch nichts davon geschah. Mesrine gab Interviews, die beiden schrieben Bücher. "Loi Mesrine" nennt man in Frankreich ein Gesetz, welches Geschäfte mit Publikationen inhaftierter Verbrecher verbietet. 1978 hatte sich der Gangster von einer damals 29-jährigen Journalistin für die Illustrierte Paris Match befragen lassen. Wegen "Verherrlichung von Verbrechen" sollte sich die Reporterin später vor Gericht verantworten, heiratete dann aber Mesrines Anwalt und kam nach Hinterlegung einer Kaution frei. Einem weiteren Journalisten, dem Mesrine wegen dessen kritischer Fragen nicht ganz so wohlgesinnt war, schoss er erst in den Mund, dann einen Finger ab und schließlich ins Knie. Fast unglaublich, dass der Mann überlebte.

Doch wieso war Mesrine überhaupt zum Verbrecher geworden? War dem Sohn einer aufstrebenden Arbeiterfamilie aus dem Pariser Vorort Clichy vielleicht die Erziehung in dem katholischen Internat, welches er zeitweise besuchte, zu Kopf gestiegen? Hatte er in den Fünfzigern als Fallschirmjäger im Algerienkrieg seinen Verstand verloren? Warum entschloss er, der mit 19 zum ersten Mal und mit 25 zum zweiten Mal heiratete, und der drei Kinder hatte, sich ausgerechnet zu diesem Leben? Überall wurde er gesucht: in Kanada, den USA, Frankreich, der Schweiz, Deutschland und Spanien.

"Mein Herz", nennt er in seinen Liebesbriefen Jeanne, seine "Janou", seinen "Engel". Er überschüttet sie mit Komplimenten und unterzeichnet mit: "Dein Schrecklicher".

"Mein Engel", "Dein Schrecklicher": Die Briefe von Jacques Mesrine an Jeanne Schneider werden vom Pariser Auktionshaus Baron Ribeyre & Associés versteigert. (Foto: Rachel Boßmeyer/picture alliance/dpa)

In den Siebzigerjahren bombardierte er Jeanne geradezu mit Briefen aus dem Pariser Hochsicherheitsgefängnis La Santé, da war er zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Er sei kein Held, gesteht er hier, lediglich ein Außenseiter, welcher Gesetze nicht akzeptiere. Ein Satz, wie er aus einem John-Wayne-Film stammen könnte. Und immer bemühte Mesrine, der in seinem Leben auch mit rassistischen und sadistischen Attacken auffiel, die Poesie: "Wenn Deine Lippen Blumen wären, stellte ich mich als Schmetterling vor", notierte er handschriftlich und zeichnete etwas Nettes dazu, zum Beispiel ein Herz hinter Gittern.

Eineinhalb Jahre nach seinem (siebten) Gefängnisausbruch starb er dann. Im November 1979, mit 42 Jahren im Kugelhagel einer französischen Polizei-Sondereinheit, die eigens zu seiner Ergreifung geschaffen worden war.

19 Kugeln feuerten Scharfschützen auf die Windschutzscheibe des BMWs, in dem Jacques Mesrine saß. Der "Staatsfeind Nummer eins" starb, seine damalige Verlobte Sylvia Jeanjacquot überlebte schwer verletzt. (Foto: Marcel Binh, Michel Clement, Georges Bendrihem, Patrick de Noirmont/AFP)

Kurz zuvor hatte er noch einmal einen Millionär entführt (je nach Zählung handelte es sich hier um sein 39. Gewaltverbrechen). Millionäre müssten halt damit rechnen, dass sie entführt würden, erklärte er. Er sah sich auch als modernen "Robin Hood", allerdings ohne jemals einen Beweis seiner Wohltätigkeit zu liefern.

Als er in seinem BMW starb, saß übrigens Sylvia auf dem Beifahrersitz, 28 Jahre jung, schlank, dunkelhaarig und seine Verlobte. Er habe immer viel Humor gehabt, berichtete sie: "Er war ein Mann im wahrsten Sinne des Wortes, ein Abenteurer, brutal und zärtlich." An der Verfilmung seiner Autobiografie "Der Todestrieb" erwarb später Frankreichs Superstar Jean-Paul Belmondo die Rechte.

Nun darf sich die interessierte Öffentlichkeit noch einmal über sein literarisches Werk beugen, über die intimen Schriftstücke eines Mannes, dessen Taten mittlerweile in vielen Chansons, Filmen und Gemälden verklärt wurden. Für seine Briefe veranschlagt das zuständige Aktionshaus zwischen 50 und 30 000 Euro. Sie stammen aus dem Nachlass von Jeanne, die 2006 starb und als Mesrines Mätresse ebenfalls zeitweise im Gefängnis saß. Mesrine schrieb übrigens auch einer gewissen Joyce Liebesbriefe, mindestens 180 soll es davon geben, aber die wurden alle schon versteigert.

Mindestens genauso interessant wie die Briefe von "Le Grand", wie sich Mesrine nannte, wären freilich jene, die er selbst erhielt. Doch die, und das ist wirklich ein großes Rätsel, sind allesamt verschwunden.

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