Mount Everest:"Man ist da einfach in der Masse unterwegs"

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22. Mai 2019: Schlange stehen für den Gipfel des Mount Everest. (Foto: Rizza Alee/AP)

Elf Menschen starben in diesem Jahr schon am höchsten Berg der Welt, doch der Andrang ist ungebrochen. Warum der Extrembergsteiger David Göttler vor dem Gipfel umgekehrt ist.

Interview von Nadine Regel

David Göttler war im Mai ohne zusätzlichen Sauerstoff auf der nepalesischen Südseite des Mount Everest unterwegs, der 40-Jährige bestieg wegen des Andrangs aber nicht den Gipfel. Die "Unfallsaison" am Everest hat bisher elf Tote gefordert. Lange Wartezeiten am Gipfel seien aber nur ein Grund, sagt der Extrembergsteiger und Bergführer. Billiganbieter auf der Südseite verschärften das Problem durch mangelndes Risikomanagement zusätzlich.

Laut New York Times denkt die nepalesische Regierung darüber nach, auf der Südseite strengere Regeln zu erlassen, wer auf den Berg darf. So soll ein Nachweis über die gesundheitliche Verfassung und Eignung erbracht werden. Ob sich das umsetzen lässt, ist fraglich. Auf der chinesischen Nordseite gelten schon jetzt strengere Regeln.

SZ: Sie haben 100 Meter unterhalb des Gipfels entschieden, umzudrehen. Warum?

David Göttler: Mir sind zu viele Leute entgegengekommen. Es wäre ein Risiko gewesen, weiterzugehen. Hätte ich auf halber Strecke gemerkt, dass ich nicht mehr kann, wäre ich in der Schlange stecken geblieben. Andere mit Sauerstoff sind das Risiko eingegangen, waren dann aber zu lange unterwegs und sind gestorben. Das ist ein Grund, warum es dieses Jahr so viele Todesfälle gab.

Auf Ihrem Weg hoch auf den Everest sind Sie an mindestens zwei kürzlich Verstorbenen vorübergegangen.

Das ist etwas anderes als bei einem Verkehrsunfall. Dort oben ist man so mit sich selbst beschäftigt, man ist am Limit. Außerdem kann man für einen Toten am Wegesrand nicht mehr viel tun. Natürlich ist es immer wieder krass. Aber man ist da einfach in der Masse unterwegs, mit Leuten, die noch nicht einmal Bergsteiger sind. Man ist in einer Anonymität, in der der Einzelne nicht auffällt.

Hätten die Toten am Everest vermieden werden können?

Die meisten ja, wenn sie mit verantwortungsvollen Agenturen und gut ausgebildeten Sherpas unterwegs gewesen wären - aber sie haben das günstigste Angebot gewählt. Heutzutage muss niemand mehr wegen der Höhenkrankheit am Berg sterben. Was fehlt, sind ausreichend Sherpas, die am Berg Risikomanagement für ihre Gäste betreiben. So wie ich das mache, wenn ich einen Gast am Mont Blanc begleite. Der Gast bezahlt mich vor allem dafür, dass ich ihn wieder lebend runterbringe.

Hat jemand in Ihrer Nähe die Steigeisen falsch angelegt?

Konkret ist mir nichts aufgefallen. Aber mal ein Beispiel: Vom Basislager bis zum Lager zwei habe ich vier Stunden gebraucht. Das ist relativ schnell. Ich bin immer antizyklisch gegangen und war deswegen viel allein unterwegs. An diesem Tag bin ich um 16 Uhr gestartet, die anderen schon morgens um vier Uhr. Ich habe aber kurz vor Lager eins, also auf der Hälfte der Strecke, dann noch Leute getroffen. Die haben zwölf Stunden für eine Strecke gebraucht, für die ich nur zwei Stunden brauche. Die Diskrepanz ist riesig. Wie meinen die, jemals auf diesen Berg zu kommen? Das geht nur mit zusätzlichem Sauerstoff. In dem ganzen System ist bisher nirgendwo ein Filter eingebaut, der nur die weitergehen lässt, die dazu in der Lage sind.

Was fasziniert Sie am Höhenbergsteigen?

Für mich ist es die dünne Luft. Der Ausdruck "by fair means" - also fair den Regeln entsprechen - heißt für mich, ohne Sauerstoff unterwegs zu sein. Die technische Herausforderung auf dem Weg ist nicht sehr groß. Man muss in der Lage sein, jede Gefühlsnuance des eigenen Körpers zu interpretieren, um zu entscheiden, ob man weitergehen kann oder nicht. Deshalb möchte ich auch wieder zurück zum Everest, obwohl gilt: Dieser Berg hat zwei Gesichter. Der Mount Everest ist die spannendste Herausforderung, die wir haben.

Sie meinen also, der zusätzliche Sauerstoff verwässert diese Erfahrung?

Ja. Schade ist, dass in unserer Gesellschaft nicht kritisch hinterfragt wird, ob jemand mit oder ohne Sauerstoff hochgegangen ist. Für uns hätte es ja auch einen faden Beigeschmack, wenn jemand die Tour de France mit E-Bike fahren würde. Diesen Punkt sollten wir auch beim Thema Sauerstoff erreichen, eine Stigmatisierung. Dann würden weniger Leute da hochgehen. Andererseits möchte ich auch niemandem verbieten, als Hobbybergsteiger auf den Everest zu gehen - solange er ehrlich sagt, dass er Sauerstoff benutzt hat.

Was schlagen Sie vor für den Berg, was könnte man tun?

Die Ausbildung der nepalesischen Agenturen und Sherpas ist wirklich wichtig. Alle anderen Maßnahmen, wie die Begrenzung von Genehmigungen oder Gipfelanstiegen, halte ich für unrealistisch und unfair. Man sieht es jetzt am Mont Blanc. Die haben genau das gleiche Problem - zu viele Leute und Todesfälle am Berg. Dieses Jahr gilt die Regel, dass man nur mit einer Hüttenreservierung hochdarf. Das wird von der Polizei kontrolliert. Das nimmt einem die Freiheit, nach dem Wetter zu entscheiden. Leute gehen dann womöglich an einem Tag mit schlechtem Wetter, weil sie dafür ihre Genehmigung haben. Das birgt wieder neue Gefahren.

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