"Lust auf Eis" steht auf den Servietten, die man aus den Spendern an der Eisdiele zieht, oder "Grazie e arrivederci" für ein wenig dolce vita. Trotz der netten Aufdrucke bringt das Papier, auf das sie gedruckt sind, regelmäßig Menschen zum Verzweifeln: zu dünn, nicht saugfähig - eigentlich nicht zu gebrauchen. Warum ist die Eisdielenserviette wie sie ist - und warum bleibt sie unverändert? Vera Merten, 58, muss es wissen. Sie ist seit 2008 Geschäftsführerin der Merten & Pusch GmbH aus Dortmund. 1920 wurde das Familienunternehmen als Bäckerei- und Konditoreizulieferer gegründet. In den 70er-Jahren übernahm es eine italienische Firma für Eisdielenbedarf und liefert seitdem Rohstoffe wie gefrorene Früchte, Milch und Zucker oder Nusspasten an 1500 Eisdielen in Deutschland - und Becher, Waffeln sowie die berüchtigten "Faltservietten".
SZ: Frau Merten, jeden Sommer beschweren sich die Menschen über die dünnen, kaum saugfähigen Servietten in der Eisdiele. Kommt dieser Zorn bei Ihnen an?
Vera Merten: Natürlich, es beschweren sich immer wieder mal Kunden, und als Kundin kenne ich das Problem selbst. Die Servietten sind teilweise so dünn wie Pergament. Damit kann man sich den Mund abwischen, aber im Vergleich zu einer Zellstoffserviette ist das unkomfortabel. Ich muss dazu sagen, dass sie dafür auch nicht gedacht sind.
Sondern?
Die Faltservietten aus dem Spender sind eigentlich als Klapperdeckchen gedacht.
Bitte was?
Als Untersetzer, damit das Geschirr nicht auf dem Tablett klappert und der Tisch sauber bleibt, wenn das Eis aus dem Becher tropft. Verkäufer benutzen sie außerdem als Hygienepapier, damit sie die Waffel nicht anfassen müssen und der Kunde das Eis nicht gleich an den Fingern hat, wenn es schmilzt. Zu dem Zweck haben wir inzwischen Hörnchenhülsen aus Papier im Sortiment, die man über die Waffel stülpen kann, und Waffeln mit integrierten Hülsen.
Die Faltserviette ist also gar nicht als Serviette gedacht. Wie kam es zu dem Missverständnis?
Die wenigsten Eisdielen haben noch eine zweite Sorte Servietten für ihre Kunden. Und wenn einem das Eis den Mundwinkel runterläuft und auf dem Tresen steht ein Spender mit Faltservietten, greift man aus Reflex danach.
Warum sind die Faltservietten, wie sie sind: glatt, nicht saugfähig und immer zu klein?
Glatt sind sie, weil sie auch Werbeträger sind, das heißt, man muss sie gut bedrucken können. Wir drucken entweder unser Logo oder das des Kunden drauf. Herkömmliche saugfähige Servietten würden aufquellen und an der Waffel kleben. Vor acht Jahren haben wir mit unserer Hausmarke eine saugfähige Faltserviette entwickelt, die in die genormten Spender passt. Die war auch aus Papier, aber nicht mehr so glatt. Wir dachten, da haben wir mal was ganz anderes als die Mitbewerber. Aber das Modell hatte einen Haken.
Nämlich?
Man konnte sich mit der Vliesoberfläche zwar gut den Mund abwischen, aber sie hat geflust, wenn man sie aus dem Spender gezogen hat. Wir haben sie aus dem Sortiment genommen. Seit ungefähr fünf Jahren haben wir ein Mittelding, das nicht ganz so pergamentartig ist, aber auch nicht zerfleddert. Die Leute rupfen sie teilweise mit Gewalt aus diesen Spendern, das müssen die Servietten aushalten.
Was kostet eine Faltserviette im Vergleich zu einer herkömmlichen?
Eine Faltserviette kostet weit unter einem Cent, ungefähr ein Drittel einer herkömmlichen Serviette von 33 mal 33 Zentimetern. Es ist aber nicht nur eine Preisfrage, sondern auch eine Frage der Nachhaltigkeit und Lagerung. Es ist nachhaltiger, für so ein kleines Eis nur ein kleines, dünnes Stückchen Papier zu nehmen, sonst würde man unheimlich viel Müll produzieren, außerdem bräuchte man viel Platz zum Lagern.
Die Faltserviette bleibt also unverändert. Auch aus Nostalgiegründen?
Die Faltserviette gehört definitiv zum Eisdielenbesuch. Teilweise nehmen die Leute Servietten und Zuckerbeutelchen mit nach Hause, als Souvenir. Seit ich aufgewachsen bin, seit den 1960ern, ist die Faltserviette so gut wie unverändert, nur die Aufdrucke sind bunter und auffälliger geworden.