Stilkritik:Was heißt "triftig"?

Bitte lassen Sie mich durch, ich hab´s triftig. Der deutsch-österreichische Grenzübergang Unterjoch. (Foto: imago images/Nordphoto)

Wer aus oder nach Deutschland reisen will, braucht noch ein paar Wochen an fast allen Grenzen einen "triftigen" Grund. Tatsächlich beschreibt kein Wort unsere krasse Zeit besser als dieses.

Von Martin Zips

Was eben noch krass war, ist jetzt triftig. Denn ohne triftige Gründe, da geht derzeit gar nichts. Schon krass.

Zum Beispiel die Einreise aus und nach Deutschland an fast allen Grenzen. Wohl noch bis zum 15. Juni: nur aus triftigen Gründen. So galt es zwar auch in den vergangenen Wochen, nur dass damals die triftigen Gründe noch irgendwie krasser waren. Da musste schon so richtig was passiert sein, um entweder rein- oder rausgelassen zu werden.

Stilkritik
:Schluss mit dieser heuchlerischen Bilateralität

Die Österreicher, der Chef: Warum, bitte, wollen plötzlich alle etwas "bilateral" klären? Über ein irreführendes Wort und seine eigentliche Intention

Von Martin Zips

Jetzt, wo nur noch stichprobenweise kontrolliert werden soll, könnte triftig vielleicht schon heißen: "Ich muss dem Opa in Italien beim Holzhacken helfen." Vielleicht heißt es das aber auch nicht. Letztlich hängt das davon ab, ob dem Schleusenwärter an der Grenze die vorgetragene Geschichte auch krass genug erscheint. Wenn nicht, geht's halt nicht weiter.

Je größer die Sehnsucht, desto triftiger der Grund

Eine Situation, die übrigens ganz ausgezeichnet zum wunderschönen Wort "triftig" passt. Denn das beschrieb einst all das, was so im Wasser schwamm und von der Strömung bewegt wurde. Baumstämme zum Beispiel, die von Holzfällern auf dem Fluss durch die Schlucht getrieben wurden. Je reißender der Fluss, desto triftiger der Fortbewegungsdrang des Stammes. Für den ein oder anderen Holzfäller ging das tödlich aus.

Aber das Wort: toll! Denn so ist es doch beim Menschen, der gerade krass ins Ausland will - zum Beispiel, weil er dort liebe Freunde hat. Je größer die Sehnsucht, desto reißender der Fluss, desto triftiger der Grund. Na, da wird was los sein, wenn wieder die Tore öffnen!

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGesundheitskampagnen
:Mit allen Mitteln und Nebenwirkungen

Stoff vor die Nase, Abstand in der U-Bahn: Mehr oder weniger gelungene Aktionen zum Wohle der Volksgesundheit gab es auch schon vor Corona, wie ein Blick in medizinische Archive beweist.

Von Martin Zips

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: