Corona:Ich liebe Stich

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Impfen leicht gemacht: Eine medizinische Helferin übt den Stich mit der Spritze an einer Puppe (in Hull, Nordengland). (Foto: Oli Scarff/AFP)

Wann kommt endlich die Einladung ins Impfzentrum? Sollte es bald doch so weit sein, gibt es sehr unterschiedliche Wege, den Termin hinter sich zu bringen: Von Kamala Harris bis Didi Hallervorden - eine Typologie.

Von Martin Zips

Die Spritzen kommen erst, wenn das Haus abgebrannt ist, heißt es in einem alten Sprichwort. Und obwohl der Mensch dabei früher natürlich nicht an eine Covid-Impfung gedacht hat, sondern an die Löschspritzen der Feuerwehr, so wirkt dieser Satz doch erstaunlich aktuell. Es brennt - und am liebsten würde man sofort seinen Oberarm in eine Nadel rammen, nur, um irgendwie beim Auslöschen des Virus zu helfen. Wenn nur endlich mehr Impfstoff käme! So sehr man ihn auch fürchtet, diesen schlimmen Spritzenstich, es gibt glücklicherweise schon einige, die man sich für diesen entscheidenden Moment zum Vorbild nehmen könnte.

Mach's wie der Weihnachtspinguin auf meinem T-Shirt: Die 90 Jahre alte Margaret Keenan war die Erste, die in Großbritannien geimpft wurde. (Foto: Jacob King/dpa)

Margaret Keenan, die Mutige

Sie war die Erste im britischen Königreich, der das Privileg einer Covid-Impfung zuteil wurde. Anfang Dezember war es, als Schwester May samt Ampulle bereitstand und die Fotografen ihre Stative bereits vor der 90-jährigen Margaret Keenan aufgebaut hatten. Nun galt es nur noch, sich ordentlich in Szene zu setzen. Vorbildhaft, wie Margaret, eine ehemalige Verkäuferin aus Enniskillen, im Universitätskrankenhaus Coventry beim Stich absolut keine Miene verzog. Vielmehr schien sie ganz eins zu sein, mit ihrem beruhigend blauen Riesenstuhl. Die entscheidende Botschaft aber sendete Keenan über ihr T-Shirt aus: "Selbst, wenn um dich herum überall viele merkwürdige kleine Kugeln kreisen", so ließ uns die vierfache Großmutter wissen, "bleib immer so cool wie ein Weihnachtspinguin mit Nikolausmütze." Danke, Maggie. Wir werden es versuchen.

Der französische Künstler Ben Vautier, 85, gibt während seiner Impfung in Nizza nicht nur wegen seines Mund-Nasen-Schutzes Rätsel auf. (Foto: Valery Hache/AFP)

Ben Vautier, der Ängstliche

Der Künstler Ben Vautier aus Nizza galt in den 1960er-Jahren als einer der wichtigsten Vertreter der Fluxus-Bewegung in Frankreich. Fluxus, das weiß man natürlich, war nach dem Dadaismus der zweite elementare Angriff auf die traditionelle bürgerliche Kunst. Fett statt Form, Hammer statt Pinsel und ganz viel Geschrei, das kennt man ja auch von Beuys, Cage oder Schlingensief. Herr Vautier hingegen hat bereits Anfang der 1950er-Jahre eine gewisse Vorliebe für Schriften entwickelt, mit denen er Sätze wie "Wir müssen essen" oder "Du musst schlafen" zur vielfältigen Deutung auf dankbar von Museen ausgestellten Tafeln oder Zetteln freigab. Als Vautier, heute 85, jetzt geimpft wurde, schützte er sich mit einem total fluxistischen Mund-Nasen-Schutz, auf dem "Kunst ist ein Virus" zu lesen war. Dabei machte er ein Gesicht wie ein Kind, das gerade im Homeschooling Dürers Hände nachzuzeichnen hat. Eher kein Vorbild für uns.

Eckart von Hirschhausen (hier mit Clara Lehmann von der Uniklinik Köln) bietet sich vor den Fernsehkameras völlig selbstlos als Impfproband an. (Foto: Bilderfest GmbH/dpa)

Eckart von Hirschhausen, der Selbstvermarkter

Zu den Bestsellern des Berliner Medizin-Kabarettisten Eckart von Hirschhausen gehören Werke wie "Wohin geht die Liebe, wenn sie durch den Magen durch ist?" oder "Die Leber wächst mit ihren Aufgaben". Kommerziell deutlich weniger erfolgreich war seine Dissertation "Wirksamkeit einer intravenösen Immunglobulintherapie in der hyperdynamen Phase der Endotoxinämie beim Schwein". In der Fernsehdokumentation "Hirschhausen als Impfproband" ermahnte der 53-Jährige jetzt seine Zuschauer während einer Untersuchung der Wirksamkeit einer subkutanen Vakzintherapie in der hyperdynamen Phase einer Pandemie beim Menschen dazu, sich ebenfalls impfen zu lassen. Also, sobald der Impfstoff endlich da ist. Danke für diesen selbstlosen Einsatz, Herr von Hirschhausen! Auch wir würden sofort unsere Ärmel hochkrempeln wie Sie. Es müsste noch nicht mal ein Kamerateam vom WDR dabei sein.

Eine Frau hält sich in Algerien während der Impfung die Augen zu. Hat sie Angst vor Spritzen? (Foto: Abdelaziz Boumzar/Reuters)

Namenlose Frau, die Schicksalsergebene

Man kennt zwar nicht den Namen der Frau, die der Fotograf Abdelaziz Boumzar hier während einer Impfung in der algerischen Hauptstadt Algier Ende Januar fotografierte - mit ihr fühlen kann man trotzdem. Absolut verständlich, dass hier jemand seine Augen verschließt. Vor der Nadel, vor dem Virus, vor der Welt. Oder doch nur vor dem russischen Vakzin, mit dem die Frau (laut Auskunft der Agentur Reuters) hier geimpft wird? Wird Sputnik V wirklich ein Segen sein? Die Haltung der Frau jedenfalls erinnert klar an die Pietà. Eine Mater Dolorosa, die am irdischen Schmerz zu verzweifeln droht. Aber, wer weiß, vielleicht nimmt sie ja bald wieder die Hand herunter - und lacht. Dieses Lachen dürfte dann ruhig auch ansteckend sein.

War es Doping? Dieter "Didi" Hallervorden kommt im Berliner Impfzentrum unter die Nadel. (Foto: Christiane Zander/dpa)

Dieter Hallervorden, die Witztüte

Am liebsten wäre Dieter Hallervorden seriöser Journalist geworden, so erzählte er einmal in der Sendung "Der große Preis". Vermutlich aber, so meinte er, hätten ihn die Zuschauer hinter der Kamera niemals ernst genommen. "Mit dem Gesicht kann man sich nur verstecken", sang Hallervorden in den Siebzigern. Doch auf dem Foto, das Herrn Hallervorden, 85, kürzlich von seiner Impfung postete, da passt das Gesicht. Seine (sehr nachvollziehbare) Impf-Freude hatte fast schon was von Doping. So, als wolle das ewige Stehaufmännchen des deutschen Flachwitzes sagen: "Da kiekste, wa? Ick lass mir doch nicht von so 'nem Virus kleinkriegen." Gut so.

Wiener Mut: Der österreichische "Star-Infektiologe" Christoph Wenisch übt sich in eindrucksvollen Gesten. (Foto: Eibner-Pressefoto/EXPA/Schroetter/imago images)

Christoph Wenisch, der Anführer

Spätestens seitdem das ikonografische Foto von seiner Impfung auch von der New York Times und der Jerusalem Post gedruckt wurde, wird Christoph Wenisch in Österreich gerne "Star-Infektiologe" genannt. So etwa von der Kronen-Zeitung, bei der man sich natürlich auch längst Gedanken macht, wie es nach Arnold Schwarzenegger einmal weitergehen könnte, mit der voralpenländischen Prominenz (Schwarzenegger ist zum Glück auch schon geimpft). Wenisch war zwar noch nie zu Gast bei der in Österreich sehr beliebten Sendung "Dancing Stars", aber das wird schon noch. Auf jeden Fall hat der 53 Jahre alte Leiter der Infektionsabteilung am Kaiser-Franz-Josef-Spital in Wien-Favoriten und Vater von fünf Kindern nicht nur mit seiner Mut machenden Geste, sondern auch mit seinem beliebten Online-Impf-Tagebuch ("Also, mir geht's noch immer gut") allen Impfgegnern und Covidioten vom Heldenplatz dank seines Siegeszeichens den Garaus gemacht. Völker, hört die Signale und zieht die Spritzen auf! Ach, so wären wir auch gerne, wie der Herr Primar.

Hey, das ist echt kein Ding: US-Vizepräsidentin Kamala Harris im entscheidenden Moment der zweiten Dosis. (Foto: Patrick Semansky/AP)

Kamala Harris, die Superheldin

Kamala Harris gehört zu den wenigen Menschen auf diesem Erdball, deren Lächeln selbst noch durch einen Mund-Nasen-Schutz leuchtet. Wie lässig die US-Vizepräsidentin mit übereinander geschlagenen Beinen auch die zweite Impfung am National Institute of Health in Bethesda, Maryland, über sich ergehen lässt. "Superheroes are everywhere", heißt eines ihrer Bücher - und wem, wenn nicht ihr, die sowohl gegen ideologischen Wahnsinn als auch die Klimakrise kämpft, sollte man diesen Satz auf dem Weg ins Impfzentrum mehr abnehmen? Wer jetzt noch so kleinkariert ist und fragt, ob denn auch ihr Mann Doug Emhoff, ebenfalls 56, bereits seine zweite Dosis erhalten hat, dem sei gesagt: Natürlich hat er. Schließlich ist Emhoff "Second Gentleman", wie es neuerdings im US-Wörterbuch Merriam-Webster heißt. Allerdings sah er dabei nicht halb so cool aus wie seine Frau. Der Arme.

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