Organisierte Kriminalität:Der rätselhafte Tod zweier Brüder

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Zur Beerdigung von Mohamed R. auf dem neuen Zwölf-Apostel-Kirchhof in Schöneberg kamen um die 800 zumeist männliche Besucher, unter ihnen die Clan-Chefs Arafat Abou-Chaker und Issa R. (Foto: Paul Zinken/dpa)

2018 wurde der Intensivtäter Nidal R. am helllichten Tag auf dem Tempelhofer Feld erschossen, die Tat ist bis heute ungeklärt. Nun ist auch sein Bruder Mohamed tot, erstochen auf einem Rummel. Seine Beerdigung gerät zur Versammlung der Berliner Clan-Szene.

Von Verena Mayer, Berlin

Zwei Brüder. Nidal und Mohamed R. hatten vieles gemeinsam. Beide mochten Sport, Nidal R. pumpte im Fitnessstudio, Mohamed R. boxte und nahm an Wettkämpfen teil. Und beide kamen sie irgendwann in schlechte Gesellschaft. Zuerst Nidal R. Seit frühester Jugend beging er so viele Straftaten, dass er den Berliner Behörden als gefährlichster Intensivtäter galt. 2018 wurde er selbst zum Opfer, als er an einem Wochenende auf dem Tempelhofer Feld unterwegs war, einem bei Familien beliebten Ort. Vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder wird acht Mal auf ihn geschossen, der 36-Jährige stirbt kurz darauf im Krankenhaus.

Am Wochenende fiel auch sein jüngerer Bruder Mohamed einem Gewaltverbrechen zum Opfer. Auf den Neuköllner Maientagen, einem gut besuchten Rummel im Volkspark Hasenheide, war der 25-Jährige mit Angehörigen unterwegs, als er mit einer anderen Gruppe in Streit geriet und es zu einer Rangelei kam. Mohamed R. soll eine Pistole gezogen haben, ein Mann stach mit einem Messer auf Mohamed R. ein. Der 25-Jährige verblutete.

Tatort Rummelplatz: Mohamed R. wurde in der Nacht zu Sonntag bei den Neuköllner Maientagen erstochen. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Am Donnerstag wurde Mohamed R. nun auf dem muslimischen Teil des Neuen Zwölf-Apostel-Kirchhofs beigesetzt. Und auch hier ähneln sich die Schicksale der beiden Brüder. Wie schon bei der Beerdigung von Nidal R. auf demselben Friedhof kamen nicht nur Hunderte Männer zur Beisetzung, es liefen auch etliche Größen aus der Berliner Halb- und Unterwelt auf. Arafat Abou-Chaker, der gerade in Berlin wegen einer Attacke auf den Rapper Bushido vor Gericht steht, kam mit mehreren Brüdern. Issa R., Oberhaupt jener Familie, deren Mitgliedern unter anderem der Einbruch ins Juwelenzimmer des Grünen Gewölbes in Dresden vorgeworfen wird, war mit seinem Gefolge da.

Beide Tötungsdelikte sind bislang ungeklärt. Der Mann, der Nidal R. erschossen haben soll, konnte flüchten, das gestohlene Auto, mit dem er zum Tatort gekommen war, fand man später ausgebrannt wieder. Im Fall von Mohamed R. gibt es zwei Verdächtige, die Berliner Polizei sucht aber noch nach Zeugen. Klar ist nur so viel: Die Geschichte der beiden Brüder ist ein Beispiel dafür, wie viel in einem Leben aus dem Ruder laufen kann, wenn man an die falschen Leute gerät und auch die Justiz irgendwann keine Handhabe mehr hat.

Kein Asylverfahren, keine Arbeit, keine Perspektive

Die Familie R. kommt ursprünglich aus den Palästinensergebieten und lebte im Libanon. Als dort der Krieg ausbrach, flüchtete die Mutter von Nidal und Mohamed R. nach Berlin. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, sie musste wieder zurück in den Libanon, später reiste sie mit ihrem Mann und den Kindern abermals nach Deutschland ein. Die Familie durfte nicht arbeiten und hatte auch sonst keine Perspektive.

Mit zehn wird Nidal R. das erste Mal aktenkundig, weil er zwei Jungen verprügelt, mit 21 umfasst sein Strafregister mehr als 80 Einträge. Die Berliner Behörden nehmen ihn als einen der ersten Fälle in die Intensivstraftäterkartei auf, was engermaschige Maßnahmen möglich macht. Sie bleiben erfolglos, genau wie die Versuche, den staatenlosen Jugendlichen abzuschieben. Und so pendelt sich das Leben von Nidal R. irgendwann zwischen Gefängnis und kurzen Aufenthalten in Freiheit ein, die dann wieder in Straftaten münden.

Kontakte zu den Hells Angels

Warum er am helllichten Tag erschossen wurde, darüber kursieren mehrere Theorien. Eine besagt, dass er bei einer Hochzeit einen Älteren beleidigt haben soll, dessen Familie daraufhin Rache schwor. Eine andere lautet, er habe einer rivalisierenden Gruppe einen Drogenumschlagplatz streitig gemacht. Sicher ist, dass Nidal R. selbst keiner der Gruppen angehörte, die in Berlin mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht werden, aber immer wieder Berührungspunkte mit ihnen hatte. Er soll sowohl Kontakte zu den Hells Angels als auch zu einer kriminellen Großfamilie gehabt haben.

Auch der 25-jährige Mohamed R. war Berliner Medien zufolge den Behörden bekannt. Wie sein Bruder hatte er keinen Schulabschluss und keine Ausbildung und wurde immer wieder straffällig. Sein Tod könnte mit dem seines Bruders zusammenhängen. So sollen die mutmaßlichen Täter den Mord an Nidal R. als richtig bezeichnet haben, was eine Spirale der Gewalt in Gang setzte. Erst soll Mohamed R. einen der Männer mit einem Messer verletzt haben, danach soll der Konflikt auf dem Neuköllner Rummel eskaliert sein.

Die Beerdigung, die von einem Großaufgebot der Berliner Polizei begleitet wurde, verlief friedlich, der Friedhofsverwaltung zufolge verhielten sich die etwa 800 Besucher respektvoll. Die Spirale der Gewalt dürfte damit allerdings noch lange nicht zu Ende sein.

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