Busunglück in Venedig:"Es sind einfach so viele Tote"

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Die Feuerwehr veröffentlichte Bilder von dem ausgebrannten Bus, der in Venedig von einer Hochstraße auf Bahngleise gestürzt war. (Foto: Imago/Italy Photo Press)

Ein Shuttlebus, der Touristen zu einem Campingplatz bringen sollte, stürzt in Venedig von einer Hochstraße und fängt Feuer. 21 Menschen sterben. Am Abend wird bekannt, dass auch drei Deutsche unter den Opfern sind.

Von Marc Beise, Rom

Sie hatten den Tag geplant, wie so viele andere Venedig-Reisende auch. Anstatt in den teuren und oft engen Unterkünften der Lagunenstadt zu übernachten, hatten die Touristen sich auf dem Festland einen Campingplatz gesucht. Die Anlage "Hu" in Marghera ist bei ausländischen Besuchern beliebt, sie ist geräumig und hat ein großes Schwimmbad. Und sie bietet einen Shuttle-Service nach Venedig an, in kaum einer Viertelstunde ist man drüben.

Auch am Dienstag nutzten viele Gäste das Angebot. Bei der Rückfahrt abends nach Sonnenuntergang befanden sich Ukrainer, Franzosen, Kroaten, Österreicher und auch Deutsche in einem als nagelneu beschriebenen Bus, offenbar ein Hybrid-Modell mit Elektromotor und Gastank. Männer, Frauen, Kinder, ungefähr 40 Menschen. Dann passierte, wenige Minuten vor 20 Uhr, das, was nicht passieren durfte und womit niemand gerechnet hatte: Auf der Überführung zur Auffahrt, die vom Stadtbezirk Mestre nach Marghera und später zur Autobahn A 4 führt, kam der Bus von der Fahrbahn ab und durchbrach das Geländer. Er flog zehn, 15 Meter weit und landete unten zwischen einer Lagerhalle und den Gleisen des Bahnhofs von Mestre. Beim Aufprall fingen offenbar die Batterien Feuer.

Busunglück (Foto: SZ-Karte/Mapcreator.io/OSM)

Nach Angaben der zuständigen Präfektur kamen 21 Menschen ums Leben, unter ihnen auch ein wenige Monate altes Baby. Einige der Opfer sind offenbar verbrannt. Die Nachrichtenagentur Ansa berichtete, dass auch drei Deutsche zu Tode gekommen sind. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es bis zum Abend vom Auswärtigen Amt in Berlin nicht. Die anderen Todesopfer kommen aus der Ukraine, aus Rumänien, Portugal und Kroatien. Außerdem starb der italienische Fahrer bei dem Unglück.

15 Menschen wurden verletzt, mehrere von ihnen liegen auf Intensivstationen. Viele Passagiere hätten keine Dokumente bei sich gehabt, sagte der Staatsanwalt von Venedig, Bruno Cherchi, dem Fernsehsender Rai News 24. Daher dauerte es wohl einige Zeit, bis die Identität aller Toten zweifelsfrei geklärt war. Die Identifizierung der Verletzten war bis Mittwochabend noch immer nicht abgeschlossen.

Über die Unfallursache gibt es bisher nur Mutmaßungen, die Staatanwaltschaft Venedig hat die Ermittlungen aufgenommen. Weithin wird spekuliert, der Fahrer, ein 40 Jahre alter Italiener, könnte wegen eines Schwächeanfalls die Kontrolle über den Bus verloren haben - oder eingeschlafen sein. Der Mann, das einzige italienische Opfer, kam ebenfalls ums Leben. Seine Kollegen beschrieben ihn als einen erfahrenen Fahrer, der seit sieben Jahren in der Branche tätig gewesen sei. Seinen Dienst hatte er demnach erst 90 Minuten vor dem Unglück angetreten.

Auch der Zustand der etwa 70 Jahre alten Brücke soll überprüft werden. Verkehrsexperten äußerten die Vermutung, die Leitplanke könnte für einen derart schweren Bus zu niedrig gewesen sein. Diese ist eher ein Geländer als eine wirkliche Schutzvorrichtung. Die Stelle, an der der Bus in die Tiefe stürzte, wird häufig "Vempa-Überführung" genannt, nach dem Namen eines nicht mehr existierenden Gebäudes, das neben einer der Rampen stand. Die Überführung ist eine der ältesten Straßeninfrastrukturen von Mestre: Sie wurde in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gebaut und vielfach verändert. Sie war notwendig geworden, nachdem hinter dem Bahnhof von Mestre ein riesiger Petrolchemiekomplex errichtet wurde. Vielen Touristen, die schon einmal mit dem Auto nach Venedig gefahren sind, wird die Unfallstelle bekannt sein.

"Der Bus war neu und er war gut", betonte der Geschäftsführer des Busunternehmens La Linea. Auf einem Video könne man den Bus sehen, sagte er, kurz bevor er von der Überführung fällt: "Das Fahrzeug kommt an, bremst ab, bremst. Er ist fast im Stillstand, als es die Leitplanke durchbricht." Möglicherweise hat auch eine Kamera in dem modernen Elektrobus die Szene aufgezeichnet. Nach der Kamera wurde in dem Wrack am Mittwoch noch gesucht.

Auf anderen Videos, die im Netz kursieren, sieht man den ausgebrannten Bus, die Rettungsmaßnahmen und erschöpfte Feuerwehrleute, einer sagt: "Es sind einfach so viele Tote." Der Bischof von Venedig, der hier Patriarch heißt, Francesco Moraglia, segnete noch in der Nacht die Toten.

Am Tag nach dem Busunglück begutachten Polizisten die Unfallstelle in Venedig. (Foto: Antonio Calanni/AP)

Einsatzkräfte waren mit zahlreichen Rettungswagen am Unfallort. Notfallpersonal und Ärzte wurden in den Dienst gerufen und Krankenhausbetten bereitgestellt. Die heißen Batterien des Busses erschwerten der Feuerwehr die Löscharbeiten. Der Bürgermeister von Venedig, Luigi Brugnaro, rief eine Stadttrauer aus. Er sprach von "einer furchtbaren Tragödie, die heute Abend unsere Gemeinschaft heimgesucht hat. Eine apokalyptische Szene, es gibt keine Worte".

Der Bahnverkehr zwischen dem Festland und der Lagunenstadt war stundenlang unterbrochen.

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Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella telefonierte bereits kurz nach dem Unglück mit dem Bürgermeister. Auch aus dem Ausland kamen zahlreiche Beileidsbekundungen. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni reagierte mit den Worten: "Meine Gedanken sind bei den Opfern, ihren Familien und Freunden. Ich stehe in engem Kontakt mit Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro und Innenminister Matteo Piantedosi, um die Nachrichten über diese Tragödie zu verfolgen."

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