Brückeneinsturz in Genua:"Jetzt radelt er im Himmel"

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Trauernde in Genua. Zehn bis zwanzig Menschen werden noch vermisst. (Foto: AFP)
  • Ganz Italien wird mitleiden, wenn am Samstag auf dem Messegelände der ligurischen Hafenstadt ihr Erzbischof die Trauerfeier für voraussichtlich 14 der bisher 38 Toten der Brückenkatastrophe abhält.
  • Einige Opfer sind schon am Freitag bestattet worden, Angehörige wollten im vertrauten Kreis sein.
  • Manche Angehörigen boykottieren die große Trauerfeier.

Von Andrea Bachstein, München

Es wird ein herzzerreißender Tag, dieser Samstag, nicht nur in Genua. Ganz Italien wird mitleiden, wenn auf dem Messegelände der Hafenstadt ihr Erzbischof die Trauerfeier für voraussichtlich 14 der bisher 38 Toten der Brückenkatastrophe vom Dienstag zelebriert. Ein Staatsakt, zu dem Präsident Sergio Mattarella kommt, der Sender Rai überträgt live.

Während Suchtrupps in den Trümmern des Ponte Morandi schuften, um einige der zehn bis zwanzig Vermissten zu finden, hat die Tragödie eine böse Polemik in der Politik entfacht, Schuldzuweisungen fliegen, ehe klar ist, warum dieser Teil der Autobahn A 10 geborsten ist. Die Regierung will dem Betreiber Autostrade per l'Italia die Konzession entziehen. Ministerpräsident Giuseppe Conte sagte am Freitag, das Verkehrsministerium habe sich in einem offiziellen Schreiben an die Firma gewandt, um den Entzug der Erlaubnis zum Betrieb der Autobahnen einzuleiten. Hilfloser Zorn hat Angehörige ergriffen, und er macht vor der Trauerfeier nicht halt. Einige Opfer wurden schon am Freitag bestattet, Angehörige wollten im vertrauten Kreis sein.

Die Särge von mindestens 17 Opfern werden nicht in Genua sein. Einige Angehörige halten nicht zurück, warum sie die Trauerfeier boykottieren. So wie die Eltern der vier jungen Männer aus Torre del Greco bei Neapel. Die Mutter von Gerardo Esposito formuliert es so: "Es war der Staat, der das verursacht hat, die Politiker auf dem Laufsteg waren eine Schande." Roberto Battiloro sagte, sein Sohn Giovanni solle nicht "eine Nummer werden im Verzeichnis der durch italienische Unzulänglichkeiten Gestorbenen".

Aus ganz Italien kamen sie, meist unterwegs wegen des Feiertags Ferragosto

Viele Tote und Überlebende haben ein Gesicht bekommen, Zeitungen, Sender, Websites haben ihre Fotos gezeigt. Unscharfe Porträts, Bilder glücklicher Momente. Wo sie herkamen, wo sie hinwollten erfuhr man, ihr Alter, ein paar Einzelheiten. Aus ganz Italien kamen sie, meist unterwegs wegen Ferragosto, am 15. August, an dem die meisten Italiener etwas unternehmen. Andere wollten zur Arbeit, wie drei Angestellte der Abfallentsorgung, 31, 53, 57 Jahre alt. Zur Arbeit im Hafen wollte Andrea Cerulli, 47, den Vater eines kleinen Jungen haben sie im Trikot seines Lieblingsfußballklubs in den Sarg gelegt. Oder der 50-jährige Andrea Vittone und seine Gefährtin Claudia Possetti, 48, mit deren Kindern Manuele und Camilla, 16 und 13. Manuele galt als Hoffnung des Fahrradsportklubs seines Orts, "jetzt radelt er im Himmel" schrieb jemand.

Wie aus einem Film wirkt, was Gianluca Ardini passierte, 29, Kaufmann aus Genua. 40 Meter stürzte sein Lieferwagen, dann verkeilte er sich in Trümmern. Mit Brüchen und verletzter Schulter klammerte er sich stundenlang fest, bis Retter ihn erlösten. Seine schwangere Freundin glaubt zu wissen, wie er es schaffte: Gianluca wollte sein Kind sehen, sagte sie.

Ardinis Beifahrer hat es nicht geschafft. Viele brauchen Hilfe jetzt, die 600 Leute, die ihre Wohnungen verlassen mussten, weil diese schon beschädigt sind oder es werden können, wenn noch ein Brückenpfeiler bricht. Kinder vor allem, die den Einsturz und die Panik erlebten und psychologisch betreut werden. Genua ist schwer verwundet. Es ist ein Albtraum wahr geworden, und er verstört Italien, jeder hätte auf dem Ponte Morandi sein können. Derzeit befährt wohl keiner eine Brücke ohne den Gedanken: Hoffentlich hält sie.

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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