Fetischmode:Latex, Leder, Nieten

2021 MTV Video Music Awards - Show

Keine wirkliche Überraschung: Madonna bei den MTV Music Awards 2021.

(Foto: AFP)

Fetisch ist das neue Schwarz, Lederriemen das Accessoire der Saison. Was das Revival der Bondage-Mode mit der Pandemie zu tun hat.

Von Violetta Simon

Wer noch daran zweifelte, dass BDSM in der Gesellschaft angekommen ist, sollte sich den neuesten Modetrend ansehen: Fetisch ist das neue Schwarz, Lederriemen das Accessoire der Saison. Von Versace bis Karen Millen, von Madonna bis Kim Kardashian - kein Laufsteg, kein roter Teppich ist derzeit vor Latex, Leder, Reißverschlüssen und Nieten sicher.

Einst als Erkennungsmerkmal innerhalb einer Subkultur getragen (BDSM steht für Bondage, Discipline, Dominance and Submission, Sadism and Masochism), wurden Korsetts, Lederhalsbänder mit Sklavenring und dergleichen in den vergangenen Jahren zunehmend von Designern genutzt, um sich vom Mainstream abzuheben. Mittlerweile ist Fetischmode genau dort angekommen: Wem 350 Pfund für ein Lederminikleid von Karen Millen zu viel sind, holt sich bei H&M ein Top aus Lederimitat. Auch muss man mit subversivem Lifestyle nichts zu tun haben, um ein Körpergeschirr über eine grundsolide weiße Bluse oder ein romantisches Spitzenkleid zu tragen. Hauptsache, der Mut reicht für den Stilbruch.

So gesehen hat es beinahe etwas Retrohaftes, dass ausgerechnet Madonna, die vor beinahe 30 Jahren Jean Paul Gaultiers Korsett zu Weltruhm verhalf, kürzlich die MTV Awards im herrisch-aber-doch-femininen Lackleder-Dress eröffnete.

Die schwarze Balenciaga-Kreation, die Kim Kardashian bei ihrer Ankunft in New York City trug, sorgte da schon für mehr Aufsehen - und die Rede ist hier nicht von dem Ganzkörperstrumpf, den sie sich am nächsten Abend bei der Met-Gala, der bekanntesten Mottoparty der Modebranche, überziehen sollte: Als die 40-jährige Unternehmerin dem SUV entstieg und das Ritz-Carlton betrat, war sie wortwörtlich von Kopf bis Fuß in schwarzes Leder gehüllt. Wie die Bilder auf Instagram zeigen, steckte selbst Kardashians Kopf, bis auf eine Aussparung für den hoch gebundenen Pferdeschwanz und die zwei Reißverschlüsse für die Augen, in einer Ledermaske.

Derlei Anspielungen sind im Übrigen keineswegs Frauensache. Auch "Gossip-Girl"-Schauspieler Evan Mock erschien zum Promi-Schaulaufen vermummt, er verbarg sein Gesicht hinter einer Lackledermaske mit einem Hahnenkamm aus Metallstacheln von Thom Browne.

Der Versuch, die Kontrolle zurückzugewinnen

Doch warum gerade Fetischmode, warum gerade jetzt? Wie der Guardian berichtet, sehen Modeexperten darin eine Antwort auf den Lockdown. Allerdings weniger weil Latex vor Körperkontakt schützt und so schön abwaschbar ist. Vielmehr geht es darum, die Kontrolle zurückzugewinnen.

Andrew Groves, Professor für Modedesign an der University of Westminster, bezeichnete die vergangenen 18 Monate als "seltsame BDSM-Beziehung mit der Regierung, die unsere Körper kontrolliert und uns vorschreibt, wen wir küssen oder berühren dürfen." Für den Kurator der Ausstellung "Undercover", die sich mit dem pandemischen Maskentragen im öffentlichen Raum auseinandersetzt, drückt Fetisch-Kleidung als Mode den Wunsch aus, die Beziehung zu wechseln und zu zeigen, wer wirklich das Sagen hat.

Bleibt die Frage, ob der Trend in Zeiten zunehmender sexueller Gewalt und der "Me Too"-Debatte deplatziert ist. Autorin Sarah Vine etwa zeigt sich in der Daily Mail alarmiert davon, dass Fetischmode inzwischen selbst Schulmädchen erreicht hat und fragt: "Welche Botschaft sendet sie an junge Frauen?"

Womöglich ist der Trend aber gerade jetzt die richtige Antwort: um die weibliche Sexualität der Unterdrückung durch das Patriarchat zu entziehen. "Dem Psychoanalytiker Freud zufolge geht es beim Fetischismus um Kontrolle", zitiert der Guardian Jennifer Richards, Tutorin am renommierten Royal College of Art in London, einer Universität für Kunst und Design. "In einer Zeit, in der wir versuchen, offener und transparenter mit Sex umzugehen, können diese Kleidungsstücke ein Weg sein, die Kontrolle über uns selbst zurückzuerlangen."

The MET Gala 2019 New York Lena Dunham left and Jemima Kirke attending the Metropolitan Museum

Lena Dunham (links) und Jemima Kirke verbanden 2019 Fetisch-Style und Humor.

(Foto: Doug Peters/imago images / PA Images)

Dass man jenseits aller Diagnosen dem Fetisch-Style auch mit Humor begegnen kann, bewies 2019 "Girls"-Schöpferin Lena Dunham auf der Met-Gala: Auf ihrem rosafarbenen Satin-Minikleid von Christopher Kane prangte ein Paar Spülhandschuhe und das Wort "Rubberist" (Gummi-Fetischist). Ihre "Girls"-Kollegin Jemima Kirke trug zum Kleid mit Luftballon-Motiv und der Aufschrift "Looner" (Ballon-Fetischist) eine Latex-Badehaube.

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