Bolschoi-Theater in Moskau:Sechs Jahre Haft für Säureanschlag auf Ballettchef

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Vom Gericht schuldig gesprochen: Solotänzer Pawel Dmitritschenko. (Foto: dpa)

Der Solist Pawel Dmitritschenko bestreitet, den Säureangriff auf seinen Chef am Moskauer Bolschoi-Theater in Aufrag gegeben zu haben. Dennoch haben ihn die Richter zu sechs Jahren Straflager verurteilt. Auch zwei weitere Angeklagte müssen in Haft.

Noch immer leidet Sergej Filin unter den Verätzungen in seinem Gesicht. Mehr als 20 Operationen in einer Augenklinik in Aachen hat er bereits hinter sich. "Ich sehe jetzt genug, um mich sicher zu fühlen", sagte er im September bei seiner Rückkehr nach Moskau dem russischen Fernsehen. In der Öffentlichkeit trägt er oft Sonnenbrille. Vieles hat sich verändert für den Ballettchef des Moskauer Bolschoi-Theaters, seit ihm jemand am 17. Januar 2013 Schwefelsäure ins Gesicht kippte.

Schuld an dem Angriff trägt der Solist Pawel Dmitritschenko - so hat ein russisches Gericht nun entschieden. Die Richter sehen es als erwiesen an, dass der Tänzer zwei Bekannte zu dem Attentat anstiftete, weil er sich am künstlerischen Führungsstil seines Chefs störte. Immer wieder, berichtete ein Zeuge, sei der Tänzer von geplanten Auftritten abgezogen und dadurch zutiefst gedemütigt worden. Der 29-Jährige muss nun sechs Jahre ins Straflager, die Staatsanwaltschaft hatte neun Jahre gefordert.

Dmitritschenko selbst hatte sich vor Gericht als "emotionalen Künstler" beschrieben. Er sei moralisch verantwortlich für den Anschlag, habe Filin aber nicht schaden wollen. Vielmehr hätten zwei Bekannte Filin mit der Säure unaufgefordert eine Lektion erteilt. Der Hauptverdächtige, ein 35 Jahre alter Freund Dmitritschenkos, hatte diese Version der Geschichte vor Gericht bestätigt. Er und ein weiterer Komplize wurden ebenfalls wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung verurteilt - zu zehn beziehungsweise vier Jahren Straflager.

Sergej Filin, Ballettchef des Moskauer Bolschoi Theaters, bei einer Pressekonferenz im März in Aachen. (Foto: dpa)

Das Verbrechen hatte wegen seiner Brutalität in der internationalen Kulturszene großes Entsetzen ausgelöst - und zugleich tiefe Einblicke in den Kosmos des berühmten Bolschoi-Theaters gewährt. Tänzer berichteten in den Medien von einer Welt voller Intrigen, einem bisweilen brutalen Kampf um Rollen, Gastspiele im Ausland und hohe Gagen. Theaterfunktionäre sowie frühere und amtierende Mitglieder der mit 220 Tänzern größten Ballettcompagnie der Welt gerieten öffentlich aneinander. Einzelne Solisten verließen das Haus. Am Ende musste Intendant Antoli Iksanow gehen. Sein Nachfolger Wladimir Urin soll nun Ruhe in den Theaterkosmos bringen.

Lüge und Intrige

Als Zeuge vor Gericht attestierte der geschasste Startänzer Nikolai Ziskaridse seinem durch den Anschlag fast erblindeten Rivalen Filin ein Regime der Willkür. Viele Mitarbeiter des Theaters zeigten sich solidarisch mit Dmitritschenko. Die frühere Bolschoi-Ballerina Angelina Woronzowa warf Filin als Zeugin sogar vor, sie erpresst zu haben. "Er sagte, dass Dmitritschenko ein unbequemer Mensch sei und aus mir nichts werden würde, wenn ich mit ihm zusammen bin", sagte Woronzowa. Sie war schon vor ihrer Aufnahme am Bolschoi von Filin persönlich gefördert worden.

Filin, der über Monate ausgefallen war, will ungeachtet seiner eingeschränkten Sehkraft und der brodelnden Konflikte seine Arbeit am Bolschoi fortsetzen. Der mit einer Ballerina Verheiratete hatte die künstlerische Leitung des Balletts in den vergangenen Monaten seiner früheren Tanzpartnerin Galina Stepanenko überlassen. Zwar dauert Filins Behandlung in Aachen an. Seit Mitte September ist er aber wieder am Bolschoi präsent - neuerdings, wie die Theaterleitung mitteilte, stets in Begleitung eines Leibwächters.

Linktipp: Der New Yorker hat sich ausführlich mit dem aufsehenerregenden Kriminalfall beschäftigt.

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