SZ-Kolumne "Bester Dinge":Klänge der Erinnerung

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Jegal Sam, 96 Jahre, Pianist aus Südkorea (Foto: N/A)

Wie das Klavier einem fast hundertjährigen südkoreanischen Pianisten das Leben rettete - und er nun allen Hoffnung gibt.

Von Mareen Linnartz

Da sitzt er am Flügel, ein kleiner Mann, den Blick in eine unbestimmte Ferne gerichtet. Beiges Jackett, schwarze Fliege. Er haut nicht in die Tasten, er streichelt sie mehr. Das ist Jegal Sam, 96 Jahre, Pianist aus Südkorea. Er möchte der älteste Klavierspieler der Welt werden, erzählt er der BBC, die einen Beitrag über ihn mit diesem Konzertmitschnitt einleitet. "Das Klavier und ich sind eins - wie kann ich ohne es leben?" Seit 82 Jahren übe er jeden Tag, 50 Jahre unterrichtete er, das, glaubt er, hat ihm das Leben gerettet: Er sollte für den Koreakrieg eingezogen werden, aber für Lehrer galt eine Ausnahme - auch für solche, die Klavierstunden gaben.

Musik als Wunder: Das hat es schon in Biografien, Romanen, Hollywood gegeben: "Der Pianist" etwa erzählt die wahre Geschichte des polnischen Pianisten jüdischen Glaubens, Władysław Szpilman. Er versteckt sich, im Untergrund lebend, in einem Haus, wo er die Klänge von Beethovens Mondscheinsonate vernimmt. Wenig später wird er von einem deutschen Offizier entdeckt, der ihn bittet, auf einem Flügel etwas vorzuspielen. Szpilman setzt an und spielt die Ballade Nr. 1 in G-Moll von Frédéric Chopin. Szpilman bleibt unbehelligt, überlebt.

Die Mondscheinsonate interpretiert auch Jegal Sam. Igor Levit hat sie einmal "in Musik gesetzte Einsamkeit" genannt. Aber das allein ist nicht der Grund, warum diese dunklen Klänge, gespielt von einem fast Hundertjährigen, jetzt so berühren. Jegal Sam sieht nicht mehr gut, er ruft alles aus seiner Erinnerung ab. Tausendfach eingeübte Fingerbewegungen, nie vergessen. Und das ist doch eine Aussicht: Wenn alles vorbei ist, werden wir wieder feiern, singen, einander in den Arm nehmen, einfach, weil wir nie vergessen werden, wie das geht.

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Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, Władysław Szpilman habe in dem Film "Der Pianist" dem deutschen Offizier die Mondscheinsonate vorgespielt. Tatsächlich war es die Ballade Nr. 1 in G-Moll von Frédéric Chopin. Ein Leser hat uns auf den Fehler hingewiesen und wir haben den Text entsprechend korrigiert.

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