Berufungsprozess in Südafrika:Warum Pistorius nun doch wegen Totschlags verurteilt wurde

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Oscar Pistorius muss noch einmal vor Gericht erscheinen. (Foto: AP)

Dass der Berufungsrichter das Urteil der ersten Instanz derart zerpflückt, ist eine Überraschung.

Von Oliver Klasen

Jetzt ist es also doch Totschlag, höchstoffiziell festgestellt von einem Berufungsgericht im südafrikanischen Bloemfontein. Was Oscar Pistorius in der Nacht auf den Valentinstag 2013 in seinem Haus getan hat, geht juristisch nicht länger als fahrlässige Tötung durch.

Die vier Schüsse, die der ehemalige Paralympics-Sportler auf seine Freundin Reeva Steenkamp abfeuerte, werden von Richter Eric Leach an diesem Donnerstag völlig anders bewertet als in der ersten Instanz. Pistorius habe sich des Totschlags ("murder") schuldig gemacht.

Seit Wochen wurde spekuliert, dass Richter Leach die Entscheidung seiner Kollegin Thokozile Masipa vom Oktober 2014 revidieren würde. Dass sein Berufungsgericht Masipas Urteil jedoch derart zerpflückt, ist eine Überraschung.

Wie das Berufungsgericht argumentiert

Das Urteil der ersten Instanz weise mehrere gravierende Rechtsfehler auf, argumentiert Leach. Er verkündet das einstimmige Urteil einer fünfköpfigen Jury.

  • Pistorius habe im Prozess "zu keinem Zeitpunkt eine akzeptable Erklärung" dafür abgeben können, warum er viermal durch die Badezimmertür gefeuert habe, sagt Leach. Das von der Verteidigung vorgebrachte Notwehr-Argument sei nicht anwendbar, denn die Person hinter der Tür habe keine unmittelbare Lebensgefahr für Pistorius dargestellt. Auch von der "elementaren Vorsichtsmaßnahme eines Warnschusses" habe Pistorius keinen Gebrauch gemacht.
  • Masipa habe den Grundsatz des sogenannten dolus eventualis falsch angewendet. Pistorius habe wissen müssen, dass seine Handlungen einen Menschen töten können, sagt Leach. "Ich habe keinen Zweifel daran, dass der Angeklagte vorhersehen musste und auch tatsächlich vorhergesehen hat, dass derjenige, der sich hinter der Tür befand, sterben könnte - egal, wer diese Person war."
  • Wer die Person hinter der Badezimmertür war, sei unerheblich. Die Annahme im ersten Urteil, derzufolge Pistorius nicht habe sicher sein können, ob Steenkamp im Badezimmer sei, spiele keine Rolle. "Die Identität der Person hinter der Tür ist irrelevant im Hinblick auf seine Schuld", so Leach.
  • Es sei klar, dass Pistorius mit den Schüssen eine kriminelle Absicht verfolgt habe: "Es ist unvorstellbar, dass eine rationale Person denken würde, sie sei berechtigt, mit einer schweren Schusswaffe auf jemanden schießen zu dürfen."

Südafrika
:Oscar Pistorius wegen Totschlags verurteilt

Ein südafrikanisches Berufungsgericht hat das Urteil gegen den Ex-Sprinter revidiert: Ihn erwartet eine neue Strafe.

Was im alten Urteil stand und warum es angefochten wurde

In der ersten Instanz war der Athlet, dem beide Unterschenkel amputiert worden sind, im Oktober 2014 lediglich der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden und zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Wegen guter Führung wurde Pistorius nach nicht einmal einem Jahr entlassen - übliches Vorgehen in Südafrika, wo die Gefängnisse hoffnungslos überfüllt sind.

Pistorius hat Steenkamp getötet, so viel war auch vor der Berufung klar. Strittig war die Frage, ob der Athlet in Kauf genommen hat, seine Freundin beziehungsweise einen mutmaßlichen Eindringling zu töten? Richter Leach zufolge hat Pistorius das, es liegt also zumindest ein bedingter Vorsatz vor. Anders als in Deutschland gibt es im südafrikanischen Recht nicht die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag. Beides ist "murder". Allerdings wird nach der Art des Vorsatzes unterschieden.

Dass Pistorius bei seiner Tat keine volle Absicht nachgewiesen werden konnte, überraschte damals kaum jemanden. Als Mord sah kaum ein Experte seine Tat. Viele Rechtsexperten hatten jedoch fest erwartet, dass Richterin Masipa bei Pistorius zumindest einen bedingten Vorsatz sehen würde. Tat sie aber nicht.

Die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein. Nach südafrikanischem Recht kann sie das immer dann tun, wenn sie der Auffassung ist, dass ein Rechtsgrundsatz falsch ausgelegt wurde. Die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung sei "schockierend unangemessen", sagte der Chefankläger Gerrie Nel nach dem ersten Prozess. Auch in der Öffentlichkeit hatte es wütende Reaktionen wegen des nach Ansicht seiner Kritiker zu milden Urteils gegeben.

Richterin Masipa hatte im Dezember 2014 entschieden, dass sie eine Berufung gegen ihr eigenes Urteil zulässt, jedoch auch verfügt, dass in diesem Berufungsprozess nicht über das Strafmaß verhandelt werden darf.

Wie es weiter geht

Theoretisch kann Pistorius jetzt die letzte Instanz des südafrikanischen Rechtssystems anrufen - den Obersten Gerichtshof. Ob er das tatsächlich tut, ist offen. Man werde alle Optionen prüfen, sagte eine Sprecherin der Familie und erklärte, dass weitere Kommentare derzeit nicht abgegeben würden. Verteidiger Barry Roux hatte vor dem jetzigen Berufungsprozess gesagt, dass seinem Mandanten mittlerweile die finanziellen Mittel für weitere rechtlichen Schritte fehlten. Pistorius selbst war bei der Verkündung des Berufungsgerichtes nicht im Saal.

Über das Strafmaß durfte das Gericht in Bloemfontein nicht entscheiden, das obliegt dem zuständigen Gericht in Pretoria. Die Mindeststrafe für "murder" in Südafrika sind 15 Jahre, allerdings wird dem urteilenden Richter ein Ermessensspielraum eingeräumt. So kann er wegen besonderer mildernder Umstände auch eine niedrigere Strafe verhängen. Auch eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung ist möglich. Beobachter rechnen jedoch damit, dass das Strafmaß höher ausfallen wird als die fünf Jahre Gefängnis, zu denen Pistorius in erster Instanz verurteilt worden war.

Linktipp: Der britische Guardian hat den Prozess in der ersten Instanz nachgezeichnet. Entstanden ist ein ausführliches Dossier, in dem die Ereignisse aller 48 Verhandlungstage skizziert werden.

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