Berlin:Sie sollen den Berlinern das Gefühl von Sicherheit geben

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Die Realität ist kein Werbespot: Fünf Sicherheitstrupps laufen durch die Berliner U-Bahn jeden Tag Streife. Es geht auch um gefühlte Sicherheit. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Cooles Image, krasse Fälle von Gewalt: Wie sicher ist es in der Berliner U-Bahn? Eine Nacht mit der Polizei auf Streife.

Reportage von Verena Mayer, Berlin

Als die zwei Männer, die auf dem Bahnsteig sitzen und Bier trinken, die Polizeistreife sehen, zeigt der eine gleich mal auf seinen Kumpel und ruft: "Ditt is ein Verbrecher!" Der andere antwortet: "Nee, der hier!" Danach werden die Polizisten noch mit einem Pärchen zu tun haben, das sich wegen Handyfotos beschimpft, sie werden auf der Suche nach verdächtigen Stoffen an der Cola-Flasche eines Mannes schnüffeln, und eine Gruppe Jugendlicher wird die Polizisten umringen und fragen: "Ey, Digga, ist das jetzt echt?"

Mit einem Wort: Die Dinge, die diese Polizeistreife Freitagnacht in der Berliner U-Bahn erlebt, kommen dem berühmten Video der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ziemlich nahe. In dem geht der Comedian Kazim Akboga als Fahrkartenkontrolleur durch die Berliner U-Bahn und trifft hier auf Leute, die Trommeln oder Pferde dabeihaben, die Zwiebeln schneiden, an der Stange tanzen oder Sofas durch die Gegend schleppen. Und alles, was ihm dazu einfällt, ist der Satz: "Is mir egal."

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Die Realität ist aber kein Werbespot. In den vergangenen Monaten war die Berliner U-Bahn immer wieder in den Schlagzeilen. Wegen Leuten, die andere ins Gleisbett stoßen oder auf dem Bahnsteig prügeln, bis sie bewusstlos sind. Im Dezember sorgte ein Video vom U-Bahnhof Hermannstraße in ganz Deutschland für Aufsehen: Darauf eine junge Frau, die von einem Mann die Treppe hinuntergetreten wird, einfach so. Der Täter, der inzwischen in Untersuchungshaft sitzt, kannte die Frau nicht. Es hätte jeden treffen können.

Deswegen werden in der Berliner U-Bahn neuerdings Trupps aus Polizisten und Security-Leuten der BVG auf Streife geschickt, fünf sind es jeden Tag. So wie an diesem Freitagabend. Es ist kurz vor neun Uhr, auf dem Alexanderplatz mischen sich die letzten Besucher der Einkaufszentren mit den ersten Partygängern. Ein Mann mit Eselsmaske macht Musik, daneben schläft jemand auf dem Boden, zwei amerikanische Touristen in Lederhosen torkeln vorbei.

Süßigkeiten im Eimer, Wodka in der Cola-Flasche

Ein Mann, der aus irgendeinem Grund einen Eimer voller Süßigkeiten trägt, sagt zu den Polizisten, dass er jemanden gesehen habe, der Kinder mit giftigen Farben bestreiche. Die Polizisten gehen zu dem Verdächtigen, er sitzt auf einer Decke und bietet Henna-Tattoos an. Giftige Farben hat er nicht, aber auch keine Genehmigung, Sachen zu verkaufen. Ein Polizist findet noch eine Cola-Flasche und öffnet sie. "Wodka", sagt er.

Es ist auch eher ein subjektives Sicherheitsgefühl, das die neue Berliner U-Bahn-Polizei verbreiten soll. Der öffentliche Raum ist sicher wie selten zuvor, die Zahl der schweren Verbrechen ist in Berlin 2016 gesunken, und das, obwohl die Stadt gleichzeitig um 60 000 Menschen angewachsen ist. Auch die Gewalt in Zügen und auf Bahnsteigen war zuletzt leicht rückläufig. So hat die BVG im vergangenen Jahr 2167 Gewaltdelikte registriert, 2015 waren es 2201. Im Jahr 2014 kam man auf 2070.

Doch die Statistik ist das eine, Angst das andere. Und die bringt die Polizei jetzt zum Kottbusser Tor. Der U-Bahnhof gilt als Kriminalitätsschwerpunkt, seit sich eine Szene aus Drogendealern, Taschendieben und Antänzern angesiedelt hat. Es ist 23 Uhr, als die Polizisten aus der U-Bahn steigen. Auf eine Wand hat jemand "Kotzbusser Tor" gesprayt. Touristen, Pärchen, zwei Amerikaner, die lautstark darüber diskutieren, wie viel Bier man trinken kann, ohne dick zu werden. In einer Fotokabine setzt sich jemand eine Spritze.

Auf einer Treppe ist ein roter Fleck, bei dem man nicht sagen kann, ob es Rotwein ist oder Blut. Ein Betrunkener stellt sich der Streife brüllend in den Weg, die Mitarbeiterin der BVG kennt ihn schon - und kann ihn beruhigen. Sie spricht mit starkem Berliner Akzent, sie ist schon U-Bahn gefahren, als es in Berlin noch die Geisterbahnhöfe gab, vermauerte Stationen in Ostberlin. Seit 22 Jahren macht sie den Job für den Sicherheitsdienst der BVG, und sie hat schon alles gesehen. Früher kannte sie die Leute beim Namen, wusste um ihre Geschichten, "da war es noch ruhiger". Heute seien die meisten Wanderarbeiter, die in Berlin stranden, sagt sie, Leute aus dem Osten, Flüchtlinge.

An der Schönleinstraße steht noch die hellgrüne Bank, auf der sich einer von ihnen, ein obdachloser Mann aus Polen, ausruhte, als sich sieben junge Männer näherten und seine Kleidung in Brand steckten. Die Männer, denen gemeinschaftlicher Mordversuch vorgeworfen wird, sind Asylbewerber aus Syrien und Libyen, die ohne Eltern nach Berlin kamen. Der Jüngste ist gerade mal 15 Jahre alt. Der Obdachlose überlebte, weil sofort andere Fahrgäste eingriffen und die Flammen erstickten.

"Bist du bescheuert, oder was?" "Nein, du bist bescheuert." "Halt's Maul!"

Inzwischen ist es weit nach Mitternacht, in den Waggons wird es lauter und voller. Eine Gruppe junger Leute schleppt eine riesige Teppichrolle durch die Gegend, die nächste hat ein Bierfass dabei. Man hört Dialoge wie "Bist du bescheuert, oder was?" "Nein, du bist bescheuert." "Halt's Maul!" Irgendwann werden die Polizisten per Funk auf einen Bahnsteig gerufen, weil dort eine junge Frau sexuell belästigt worden sein soll. Es ist aber nur ein Pärchen, das sich in die Haare gekriegt hat. Er hat Fotos von ihr auf dem Handy, sie will, dass er die löscht. Polizeieinsätze spiegeln den Alltag wider. Und der ist oft sehr banal.

Vor allem aber beobachtet man eines, wenn plötzlich so viel Polizei auf Streife ist: Leute, die sich umsehen oder fragen, was passiert sei. Auch das gehört zum Leben in Metropolen, zu einer Zeit, in der jeder mit einem Terroranschlag rechnet: Der Anblick von Polizisten, die das Gefühl von Sicherheit verbreiten sollen, sorgt erst einmal für Unsicherheit.

© SZ vom 10.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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