Bergunfälle:Schärfere Gesetze können Lawinenunglücke nicht verhindern

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Mit höheren Strafen ist menschlichem Leichtsinn nicht beizukommen. Das Gefahrenbewusstsein muss aber geschärft werden. Am Ende wählt der Mensch selbst.

Kommentar von Titus Arnu

Natur. Freiheit. Einsamkeit. Abenteuer. Die Schlagworte, mit denen die Wintersportindustrie für die Trend-Disziplinen Freeriding und Tourengehen wirbt, zielen in eine Richtung: weg von den gewalzten und abgesicherten Pisten, hinein in den Tiefschnee. Abseits des Rummels, im möglichst feinen, unberührten Powder, wollen immer mehr Wintersportler schwungvoll ihre Bahnen ziehen. Soweit die Wunschvorstellung.

In diesem Winter blieb das Tiefschneefahren mangels Pulver bislang meistens nur ein schöner Traum. Die Schneesituation ist vielerorts beklagenswert, Experten sprechen bereits von einem der schlechtesten Winter seit vielen Jahren. Wenn endlich mal ausreichend frischer Pulverschnee fällt und anschließend die Sonne scheint, so wie Ende vergangener Woche, stechen die Schnee-Süchtigen in Scharen los zu den Standard-Tourenzielen. Viel Einsamkeit ist da nicht mehr zu spüren.

Lawinenwarnstufe 3, schönes Wetter, unberührte Pulver-Hänge - Bergretter wissen, wie sich Lawinenkatastrophen ankündigen. So wie am vergangenen Samstag, als in den Tuxer Alpen 20 tschechische Wintersportler von einer gewaltigen Lawine mitgerissen wurden; fünf von ihnen überlebten das Unglück nicht. Es handelt sich um einen der folgenschwersten Lawinenabgänge der vergangenen Jahre. Bergwacht und Polizei müssen nun der Frage nachgehen, wie es zu dem Unfall kommen konnte - und wer möglicherweise die Schuld daran trägt.

Österreich
:Fünf Tote bei schwerem Lawinenunglück in Tirol

Insgesamt 17 Skitourengeher aus Tschechien werden von den Schneemassen verschüttet. Die Bergrettung ist mit zahlreichen Kräften und Hubschraubern im Einsatz.

Gesetze werden keine Lawinen stoppen. Das Risiko Mensch bleibt

Es gibt eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen, die Skitourengeher wie eine Checkliste abarbeiten sollten, bevor sie ins freie Gelände gehen, dazu gehören vor allem Kenntnis des Wetterberichts, der Lawinenwarnstufe, der Hangneigung und der genauen Route. Zur Ausrüstung gehören Handy, Verschütteten-Suchgerät, Sonde und Schaufel; Airbag-Systeme können im Notfall dafür sorgen, dass der Wintersportler an der Oberfläche bleibt und nicht ganz verschüttet wird.

Alles also nur eine Frage der Technik? Die verunglückten tschechischen Skifahrer waren gut ausgerüstet, aber sie haben, so viel ist jetzt schon klar, wohl mehrere krasse Fehlentscheidungen getroffen. Die beste Ausrüstung nützt eben nichts, wenn man alle Warnungen ignoriert und sich in einen Lawinenhang begibt, noch dazu als große Gruppe.

Nach vergleichbaren Unglücken gab es immer wieder Diskussionen über eine mögliche Bestrafung von Wintersportlern, die Lawinen auslösen und so den Tod von anderen Menschen verursachen. Je populärer die Sportart wird, desto häufiger wird diese Schuldfrage gestellt: Alleine in Österreich sind nach Schätzung des Alpenvereins 500 000 Skitourengeher unterwegs. Eine Serie von tödlichen Lawinenunfällen in Südtirol hatte die italienische Regierung vor einigen Jahren dazu veranlasst, laut über härtere Strafen für Wintersportler nachzudenken, die Lawinen auslösen: hohe Geldbußen oder sogar Haft.

Wer in Deutschland leichtsinnig eine folgenschwere Lawine auslöst, kann wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung strafrechtlich verfolgt werden, in Österreich ist die rechtliche Situation ähnlich. Strafbar ist es indes nicht, wenn man einen Lawinenabgang lediglich riskiert. Abgesehen davon, dass man die Berge bei Lawinengefahr nicht sperren und niemals flächendeckend kontrollieren kann, würden schärfere Gesetze kaum etwas ändern. Absolute Sicherheit kann es in der Natur nicht geben, eine Reglementierung und Kriminalisierung des Wintersports würden schwere Lawinenunglücke kaum verhindern. Mit Gesetzen ist menschlichem Leichtsinn nicht beizukommen. Wer trotz erheblicher Lawinengefahr eine Tour unternehmen will, lässt sich nicht durch Vorschriften davon abbringen. Der größte Gefahrenfaktor ist der Mensch selbst.

© SZ vom 08.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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