Ausschreitungen bei G-20-Gipfel:Die Polizei-Strategen müssen sich hinterfragen

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Nach den schweren Ausschreitungen in Hamburg kann man der Polizei für ihren Einsatz danken und dennoch ihre Taktik kritisieren. Das ist auch im Sinne der Beamten notwendig.

Kommentar von Thomas Hummel

Jugendliche und Kinder werden regelmäßig gefragt: Was willst du einmal werden? Falls dem Nachwuchs die Antwort "Polizist" entfährt, dürfte vielen Eltern nach diesem Wochenende ein Schauer über den Rücken laufen. Um Gottes willen, bloß das nicht! Wer will schon vor dem Fernseher sitzen und mit ansehen, wie zum Beispiel in Hamburg beim G-20-Gipfel irgendwo sein Kind in Uniform in eine Straßenschlacht zieht und dabei womöglich sein Leben riskiert? Mehr als 450 Polizisten wurden bei den Ereignissen in Hamburg verletzt.

Die Angehörigen der 21 000 abgestellten Beamten hatten wohl keine schöne Woche. Sie mussten darauf hoffen, dass Ehepartner, Bruder, Schwester, Vater, Mutter wieder heil nach Hause kommen. Und wer den Polizisten in der Stadt ins Gesicht gesehen hat, der sah darin Erschöpfung und Anspannung. Der sah Menschen, die ihre Arbeit machen. Keine leichte Arbeit. Es gibt auch Polizisten, die einem Demonstranten, einem Hooligan oder Fußballfan gerne mal eine drüberziehen. Aber die übergroße Mehrheit der Beamten in Deutschland arbeitet rechtschaffen im Rahmen des Gesetzes für Recht und Ordnung. Wenn man sich in der Welt umsieht, hat Deutschland großes Glück mit seiner Polizei.

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Die Randale rund um G 20 wird begleitet von Tausenden Schaulustigen, die sich an Gewalt aufgeilen und der Polizei die Arbeit erschweren. Das Verhalten der Gaffer ist fragwürdig - aber sollte niemanden überraschen.

Von Matthias Kolb

Man darf mit den Beamten mitfühlen, ihr Vorgehen loben, sie sogar zu Helden machen im Kampf gegen einen eskalierenden Gewaltmob, wie das Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz tat.

Und dennoch: Man darf das Vorgehen der Polizeiführung beim G-20-Gipfel zugleich auch kritisieren. Die grundsätzliche Haltung, mit denen die Beamten den Demonstranten entgegentraten. Das sind zwei völlig verschiedene Aspekte. Denn eine solche Kritik betrifft nicht den einzelnen Polizisten, sondern diejenigen, die die Strategie entwarfen und letztlich die Einsatzbefehle gaben.

Irgendwann wird es in Deutschland wieder zu einer Großdemonstration kommen

Die Taktik war von vornherein bekannt. Die sogenannte "Hamburger Linie" lässt keinen Spielraum für kleine Gesetzeswidrigkeiten, für kleine Verstöße. Einsatzleiter Hartmut Dudde ist bekannt für schnelles Einschreiten und rigoroses Vorgehen. Am Donnerstagabend bei der Demonstration "Welcome to Hell" stoppten Polizisten nach wenigen Metern den Zug von 12 000 Menschen, weil sich vorne im sogenannten Schwarzen Block ein paar Hundert vermummt hatten. Und weil sich nach 30 Minuten immer noch nicht alle "entmummt" hatten, marschierten die Beamten in die Menge, um den Schwarzen Block vom Rest zu trennen. Es war ein Akt der körperlichen Gewalt, der der Polizei rechtsstaatlich zusteht, wenn sie das für angebracht hält. Allerdings befriedete das nicht gerade die Atmosphäre.

Nun kommt es immer ein wenig altklug daher, wenn etwas offensichtlich schiefgegangen ist und jemand von außen hinterher Kritik übt. Denn niemand weiß ja, ob eine eher deeskalierende und zurückhaltende Taktik zu einem besseren Ergebnis geführt hätte. Randale hätte es vermutlich so oder so gegeben, dazu waren einfach zu viele Gewalttäter in Hamburg unterwegs. Wer weiß, ob es überhaupt eine Möglichkeit gegeben hätte, mit den Chaoten und Feuerteufeln irgendwie klarzukommen. Hätte so oder so ein halbes Stadtviertel gebrannt? Wären marodierende Gruppen durch die Straßen gezogen und hätten Geschäfte geplündert und Autos angezündet? Wären Polizisten in dem Maße angegriffen worden? Hätten sich Passanten und Gaffer teilweise mit den Randalierern solidarisiert oder diese zumindest wohlwollend beobachtet? Man wird es nie erfahren. Man kann höchstens auf Erfahrungswerte aus der Vergangenheit zurückgreifen.

Einige Experten, die sich mit Großeinsätzen bei Demonstrationen oder im Fußballstadion beschäftigen, sind der Meinung, dass die Strategie der Hamburger Polizei nicht dem neuesten Standard der Wissenschaft entspricht. Dass es sich hier und da bewährt habe, wenn sich die Polizei in einer solch schwierigen Situation mit vielen potenziellen Gewaltbereiten eher zurückhaltend gab, anstatt auf Konfrontation zu setzen.

Solche Einwände sind nach den furchtbaren Bildern in Hamburg wichtig und richtig. Ob sie zu Konsequenzen führen, das müssen Polizei und Politik nun aufarbeiten. Man kann nur hoffen, dass sie das ohne parteipolitisches Kalkül tun. Denn eines ist sicher: Irgendwann wird es in Deutschland wieder zu einer Großdemonstration kommen, gegen was auch immer. Eventuell reihen sich wieder ein paar Autonome, Anarchos, Nazis, Hooligans oder sonstige Krawallmacher unter die Menge. Die Bürger dieses Landes, auch die restlichen Demonstranten, wären wirklich froh, wüssten sie dann, dass die Polizei auf Grundlage aller Expertisen ihr Verhalten so abwägt, dass möglichst wenige Menschen und Sachen zu Schaden kommen. Das wäre auch im Sinne der Polizisten selbst.

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