Großbritannien:Prinz Andrew entkommt dem Gerichtsprozess

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Prinz Andrew hatte zuletzt angedeutet, sich einem Prozess zu stellen. Klägerin Virginia Giuffre hatte eine außergerichtliche Einigung bislang ausgeschlossen. (Foto: Steve Parsons; Ben Gabbe/AFP)

Der zweitälteste Sohn der Queen wird seit Jahren von Virginia Giuffre beschuldigt, sie in jungen Jahren sexuell missbraucht zu haben. Nun geben beide Parteien bekannt, sich außergerichtlich geeinigt zu haben.

Von Michael Neudecker, London

In gut drei Wochen hätte Prinz Andrew, Nummer neun der britischen Thronfolge, einen Termin gehabt, dem mindestens die britischen Boulevardmedien mit einer gewissen Aufregung entgegenfieberten. Die Anwälte von Virginia Giuffre, die Andrew beschuldigt, sie in jungen Jahren missbraucht zu haben, würden Andrew zwingen, am 10. März in London unter Eid auszusagen, so war es erst vor ein paar Tagen berichtet worden, ehe dann im Herbst in New York der Prozess stattfinden soll.

Ein Mitglied der königlichen Familie, unter Eid, vor den Augen der Weltöffentlichkeit als Sexualstraftäter bloßgestellt? Unvorstellbar, natürlich, weshalb es auch die britischen Boulevardmedien nicht wirklich überrascht haben dürfte, was am Dienstagabend passierte.

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Die Anwälte beider Seiten veröffentlichten ein gemeinsames Statement, in dem sie bekannt gaben, sich außergerichtlich geeinigt zu haben. Der Buckingham-Palast wollte den Vorgang am Dienstagabend nicht kommentieren, aber man darf annehmen, dass die Queen den Umständen entsprechend erleichtert sein dürfte. Es wird keinen Prozess gegen ihren zweitältesten Sohn geben.

"Dear Judge Kaplan", so beginnt das Schreiben der Kanzlei des Amerikaners David Boies, das am Dienstag an den New Yorker Richter Lewis A. Kaplan verschickt wurde. Boies, der Anwalt von Virginia Giuffre, bitte darum, den Fall innerhalb von 30 Tagen zu schließen, weil beide Seiten ein "grundsätzliches Übereinkommen" getroffen hätten. Im angefügten Dokument heißt es, Andrew werde eine "nennenswerte Spende" an ihre Stiftung zugunsten von Missbrauchsopfern überweisen, zur Höhe der Summe schweigen beide Parteien. Andrew habe "nie vorgehabt, Giuffres Charakter zu verleumden", außerdem akzeptiere er, "dass sie als Missbrauchsopfer und als Opfer unfairer Angriffe aus der Öffentlichkeit gelitten hat".

Bislang hatte sie einen Vergleich ausgeschlossen

Virginia Giuffre, 38, hat in Fernsehinterviews schon mehrfach erzählt, wie sie in die Fänge des 2019 verstorbenen Jeffrey Epstein geriet. Wie sie von ihm vergewaltigt wurde, aber auch von anderen, und wie sie, auch unter Mithilfe von Epsteins inzwischen verurteilter Gehilfin Ghislaine Maxwell, an andere Männer weitergegeben wurde - auch an Andrew, den britischen Prinzen. Andrew bestritt die Vorwürfe stets, zwischendurch bestritt er gar, Epstein näher gekannt zu haben. In der Mitteilung heißt es nun, Andrew "bereut seine Verbindung mit Epstein", er "lobt den Mut von Ms. Giuffre und anderen, die für sich selbst und andere aufstehen", und werde sie im Kampf gegen sexuelle Ausbeutung künftig unterstützen. Manches in der Mitteilung klingt fast ein wenig zynisch, wenn man bedenkt, was die US-Amerikanerin ihm vorwirft.

Vor einem Jahr hat Giuffre, die früher Roberts hieß, vor einem New Yorker Zivilgericht gegen Andrew geklagt, wegen, wie das juristisch heißt, "sexueller Nötigung" in drei Fällen, als sie noch keine 18 war. Eine außergerichtliche Einigung schlossen ihre Anwälte damals aus, Giuffre sei entschlossen, Andrew vor Gericht zu bringen. Bei früheren außergerichtlichen Einigungen mit Andrew und Maxwell hatte sie bereits Geld bekommen, die Rede ist von einer halben Million Dollar.

Was nun zum Umdenken geführt hat, ist Bestandteil ausführlicher Spekulationen. Opfervertreter jedenfalls lobten Giuffre auf Twitter am Dienstagabend dafür, dass sie es zumindest versuchte. Und sich mit Mächten anlegte, die sich letztlich doch als zu stark erwiesen.

Ruf beschädigt

Juristisch betrachtet befreit die Einigung Andrew von allen Vorwürfen, sein Ruf aber dürfte damit kaum wiederhergestellt sein. David Boies, der Anwalt Giuffres, sagte der Nachrichtenagentur PA am Dienstag: "Ich glaube, dieser Vorgang spricht für sich selbst." Sigrid McCrawley, eine Anwältin in Boies' Kanzlei, sagte, man sei "sehr zufrieden mit der Klärung des Rechtsstreites". Mehrere Abgeordnete des britischen Parlaments wiederum stellten sogleich die Frage, woher denn das Geld komme, das Andrew nun an Giuffres Stiftung spende. Der Palast allerdings hatte bereits vor einiger Zeit verkündet, Andrew müsse in dem Fall als Privatperson agieren - also auch ohne finanzielle Unterstützung des von Steuergeldern getragenen Königshauses.

Die Queen hatte Andrew vor Kurzem nahezu alle Titel und Ehren entzogen, als Repräsentant der Familie wird der 61-Jährige nie wieder auftreten. Er lebt gemeinsam mit seiner Ex-Frau Sarah Ferguson in der Royal Lodge im Windsor Great Park, einer Villa mit 30 Zimmern und Pool. Seit Andrew seine Titel verlor, stehen die meiste Zeit Kameraleute vor dem Tor zum Park.

Nicht nur Andrew, sondern auch Virginia Giuffre, die mit ihrer Familie in Australien lebt, bleibt durch die Einigung nun etwas erspart, auf das sich gut verzichten lässt: ein Prozess voller unangenehmer Details, über den weltweit berichtet worden wäre.

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