Berufungsprozess in Gießen:Justizministerin Barley will Paragraf 219a neu regeln

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Justizministerin Katarina Barley (SPD) will die Gesetzgebung zum umstrittenen Paragrafen 219a ändern. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)
  • Die Ärztin Kristina Hänel wurde vom Amtsgericht Gießen zu 6000 Euro Strafe verurteilt, weil sie auf ihrer Webseite Informationsmaterial zu Schwangerschaftsabbrüchen zur Verfügung stellte.
  • Hänel ist gegen das Urteil in Berufung gegangen, der Prozess dazu findet heute vor dem Landgericht Gießen statt.
  • Vor Prozessbeginn bekräftigte Justizministerin Katarina Barley, den Paragrafen neu regeln zu wollen, um Ärzten mehr Rechtssicherheit zu geben.

Es sind letztlich 23 Buchstaben, wegen derer Kristina Hänel, eine Ärztin aus Gießen, an diesem Freitag vor Gericht steht. "Schwangerschaftsabbruch", dieses Wort stand auf ihrer Website, dort, wo die medinzinischen Leistungen aufgeführt sind, die die Allgemeinärztin anbietet. Wer auf das Wort klickte, konnte Informationsmaterial abrufen. 6000 Euro soll sie für dieses vermeintliche Vergehen zahlen, so hat es das Amtsgericht Gießen vergangenes Jahr im Dezember entschieden. Hänels Vorgehen verstößt nach Auffassung des Gerichts gegen Paragraf 219a des Strafgesetzbuches, der die Werbung für Abtreibungen unter Strafe stellt.

Der Fall hatte bundesweit Debatten um Änderungen des Abtreibungsrechts ausgelöst. Zahlreiche Bundestagsabgeordnete unterstützen Pläne zur Abschaffung von Paragraf 219a. Nun hat Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) vor Prozessbeginn in einem Interview mit Zeitungen der Funke Mediengruppe erneut auf eine Neuregelung des Gesetzes gedrängt. "Ärztinnen und Ärzte brauchen hier dringend Rechtssicherheit", sagte sie. Das zeigten die Verfahren, die wegen des Paragrafen geführt werden.

Barley sagte den Funke-Zeitungen weiter, sie sei optimistisch, dass "noch in diesem Herbst" eine Lösung in der Koalition gefunden werde. "Hier vertraue ich auch auf das Wort der Kanzlerin, die zugesagt hat, eine gute Lösung für alle Beteiligten zu finden."

Radikale Abtreibungsgegner nutzen den Paragrafen, der aus dem Jahr 1933 stammt und unter deutschen Juristen jahrezehntelang keinerlei Beachtung fand, bereits seit einiger Zeit. Es ist eine Möglichkeit für diese Gruppe, um Mediziner, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, einzuschüchtern und vor Gericht zu bringen. Denn der Paragraf lässt nur wenig Spielraum.

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Die meisten Ärzte geben kleinbei, wenn sie von Abtreibungsgegnern angezeigt werden, löschen die Einträge von ihren Websites - oder sie informieren potenziell ungewollt Schwangere erst gar nicht in gedruckten oder im Internet zu lesenden Worten. Kristina Hänel hat informieren wollen, hat sich dem Paragrafen und Abtreibungsgegnern entgegengestellt. Und auch den Rechtsstreit will sie ausfechten, notfalls bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen.

Zunächst steht jedoch die zweite Instanz an, der Berufungsprozess vor dem Landgericht Gießen. Gegen die Entscheidung des Amtsgerichtes hat Hänel Berufung eingelegt. Bei einem Schwangerschaftsabbruch handele es sich nicht um eine normale Leistung, etwa das Herausnehmen eines Blinddarms, begründete das Amtsgericht vor knapp einem Jahr die Hänel auferlegte Geldstrafe.

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