Thüringen:Abschiebung aus dem Kreißsaal

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Drinnen lag seine Frau in den Wehen, draußen standen acht Polizeibeamte und ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde Saalfeld-Rudolstadt. Jetzt stehen die Behörden in der Kritik.

Von Carolin Gißibl

Irgendjemand musste eine Abschiebung veranlasst haben, denn ohne, dass er etwas ahnte, wurde der werdende Vater an diesem 10. Oktober gegen zwei Uhr nachts aus dem Kreißsaal gerufen. Drinnen lag seine Frau in den Wehen, draußen standen acht Polizeibeamte und ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde Saalfeld-Rudolstadt.

Der Mann wurde abgeführt und zum Frankfurter Flughafen gebracht. Er sollte nach Italien abgeschoben werden. Das Dublin-Abkommen sieht vor, das Asylbewerber in das Land zurückgeschickt werden, in dem sie zuerst EU-Boden betreten haben.

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Im Sommer wurde die 21-Jährige mit ihrer gefilmten Aktion gegen die Abschiebung eines afghanischen Flüchtlings zu einer Ikone des zivilen Ungehorsam - jetzt droht ihr womöglich eine Haftstrafe.

Abschiebung würden eben langfristig vorbereitet, sagt die Ausländerbehörde. "Dass in diesem Fall der Termin auf den konkreten Termin der Niederkunft der Frau fiel, war nicht abzusehen", sagt Peter Lahann vom Landratsamt Saalfeld-Rudolstadt. Die Schwangerschaft der Frau sei in diesem Fall kein "Abschiebehindernis für die betroffene Person", also den Vater.

Das Paar sei nach traditionellem Brauch verheiratet, erklärt der thüringische Flüchtlingsrat. Das werde in Deutschland aber nicht als Ehe anerkannt. Die beiden hätten eine vorgeburtliche Vaterschaftsanerkennung eingereicht. "Offensichtlich schützt das nicht davor, dass die Familie auseinandergerissen und ein Elternteil abgeschoben wird", sagt Flüchtlingsratssprecherin Ellen Könneker.

Couragierte Hebammen

Es habe mehrere Dublin-Fälle gegeben, bei denen die Männer vor der Geburt ausgewiesen wurden. "Da fragt man sich: Wo bleibt der Schutz von Ehe und Familie?", sagt Könneker. Sie wünscht sich bei Abschiebungen mehr Rücksichtnahme für Menschen in prekären Situationen: "An der Krankenhaustür muss Stopp sein".

Schon im Mai gab es in Thüringen einen ähnlichen Fall. Beamte wollten in einer Klinik in Arnstadt eine Nigerianerin abführen - sie lag dort wegen einer Risikoschwangerschaft. Die Ärzte verhinderten die Abschiebung in letzter Minute.

Im Saalfelder Fall war der Mann bereits am Flughafen, als die Abschiebung unterbrochen wurde. Warum, ist unklar. Das Landratsamt sagt, der Betroffene habe Widerstand geleistet. Zeugen aus dem Krankenhaus zufolge sei es den Hebammen zu verdanken, dass der Mann wieder in Saalfeld ist. Sie sollen direkt zum Hörer gegriffen haben. "Unsere Klinik ist sehr stolz auf die beiden, da sie Courage gezeigt haben", sagt Klinik-Pressesprecher Stephan Breidt.

Derzeit ist die Abschiebung für das Paar ausgesetzt; für das Baby läuft ein Asylantrag. Der Mutter sei es "sehr schlecht" gegangen, sagt Könneker. Das freudige Ereignis sei zur traumatischen Erinnerung geworden.

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