Raumfahrt:Zoff im All um zwei Millimeter

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Die US-amerikanische NASA-Astronautin Peggy Whitson im Außeneinsatz an der Internationalen Raumstation ISS. (Foto: dpa)
  • Ende August haben die Astronauten der Internationalen Raumstation ISS ein winziges Loch in einem Modul entdeckt.
  • Eine Untersuchungskommission der russischen Weltraumbehörde verdächtigt die US-Astronauten, das Loch absichtlich gebohrt zu haben, um eine vorzeitige Rückkehr eines erkrankten Kollegen zu erzwingen.
  • Der ISS-Kommandant Feustel schließt eine Verwicklung von Besatzungsmitgliedern aus. Derlei Mutmaßungen seien "beschämend".

Von Julian Hans, Moskau

Lange hatte es so ausgesehen, als sei der Weltraum der letzte Ort, an dem Amerikaner und Russen harmonisch und ohne gegenseitige Vorwürfe zusammenarbeiten können. Doch inzwischen hat der weltliche Zwist auch die 400 Kilometer über der Erde kreisende Internationale Raumstation ISS erreicht. Der Auslöser ist nur zwei Millimeter groß. In der Nacht auf den 30. August hatte die Besatzung einen Druckabfall in der Raumstation registriert; bei ihren Nachforschungen fanden die drei Amerikaner, zwei Russen und der Deutsche Alexander Gerst ein winziges Loch im Modul Sojus MS-09. Das Leck ist inzwischen gestopft, das Modul dicht und die Crew hat sich wieder ihren ursprünglichen Vorhaben zugewandt.

Erst war über einen Einschlag eines Mikrometeoriten spekuliert worden, dann berichtete die staatliche russische Agentur Ria Nowosti über einen möglichen Fehler bei der Montage der Kapsel. Das Loch sei noch auf der Erde entdeckt und versiegelt worden. Offensichtlich sei der Pfropfen unter den Bedingungen im Weltraum geschrumpft und herausgefallen. Am Mittwoch allerdings erschien ein Bericht der Moskauer Tageszeitung Kommersant, der die Lage völlig anders darstellt: Die eingesetzte Untersuchungskommission bei der russischen Weltraumbehörde Roskosmos verdächtige die US-Astronauten, das Loch absichtlich gebohrt zu haben, um eine vorzeitige Rückkehr eines erkrankten Kollegen zu erzwingen. Tags zuvor hatte Roskosmos-Chef Dmitrij Rogosin auf einem Wirtschaftsforum in Wladiwostok gesagt, die vorläufigen Ergebnisse der Untersuchung seien "nicht objektiv" gewesen.

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Amerikaner, Russen und der Deutsche Alexander Gerst. Die Besatzung der ISS ist international. Doch gerade gibt es im All Streit um ein winziges Leck in der Sojus-Kapsel, die das Team zurück auf die Erde bringen soll.

Unter Berufung auf ein nicht namentlich genanntes Mitglied der Untersuchungskommission schreibt der Kommersant, der Schaden sei wohl erst im Weltraum entstanden; Spuren von einem abgerutschten Bohrer rund um das Loch deuteten darauf hin, dass es in der Schwerelosigkeit gebohrt wurde, weil der Übeltäter keinen Halt finden konnte. Roskosmos habe bei der Nasa bereits die Aufzeichnungen der Überwachungskameras sowie die Gesundheitsdaten der US-Astronauten angefordert. Zwar sei es wegen des Arztgeheimnisses unwahrscheinlich, dass diese herausgegeben würden. "Aber wenn sie sich weigern, uns zu helfen, dann erübrigen sich weitere Fragen zu ihrer Beteiligung an dem Zwischenfall", zitiert die Zeitung den anonymen Stichwortgeber.

Die kollegiale Stimmung auf der ISS steht auf dem Spiel

Die Kommandozentralen in Houston, Texas, und in Koroljow bei Moskau hatten das Problem zunächst unterschiedlich bewertet. Während die Russen für die pragmatische Lösung votierten, das Loch mit Dichtungsmasse zu stopfen, wollten die Amerikaner mehr Zeit, um das Leck zu untersuchen. Dem schloss sich ein Streit darüber an, ob die russischen Besatzungsmitglieder das Recht hatten, sich über den Willen des amerikanischen ISS-Kommandanten Andrew Feustel hinwegzusetzen. Moskau beruft sich auf die Vereinbarung, dass jede Seite für die Stabilität der eigenen Stationselemente verantwortlich ist. Die Sojus-Kapsel bringt die Kosmonauten am Ende ihres Einsatzes zur Erde zurück. Das betroffene Modul verglüht dabei planmäßig in der Atmosphäre, eine nachträgliche Untersuchung wäre also nicht mehr möglich.

Damit ist auch dieses Ereignis auf den klassischen Streit reduziert, ob russische Schlamperei oder amerikanische Boshaftigkeit hinter Russlands Misserfolgen stecke. Im Falle einer Erkrankung ihres Astronauten müsste die Nasa die Kosten für dessen vorzeitige Rückkehr tragen, argumentiert der Kommersant. Anders sei die Lage, wenn die ganze Mission wegen einer technischen Panne verkürzt werden müsste.

Die Zeitung hält eine loyale Linie zum Kreml, gilt aber grundsätzlich als seriös. Der Roskosmos-Chef Rogosin warnte per Twitter, Spekulationen und Gerüchte zielten darauf, "die kollegiale Atmosphäre im Team der Raumstation zu zerstören". Der ISS-Kommandant Feustel schloss im Interview mit dem US-Sender ABC News eine Verwicklung von Besatzungsmitgliedern aus. Derlei Mutmaßungen seien "beschämend", sagte er.

© SZ vom 13.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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