Zweite S-Bahn-Stammstrecke:Und wir schauen in die Röhre

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Seit Jahren blockieren sich die Politiker bei der Finanzplanung der zweiten S-Bahn-Stammstrecke gegenseitig - darunter leidet die ganze Region.

Christian Krügel

Am Ende werden natürlich die Garmisch-Partenkirchner schuld sein, und zwar an allem. An der täglichen Signalstörung am Ostbahnhof, an den überfüllten S-Bahn-Zügen, an defekten Weichen, verschmutzten Bahnsteigen, unverständlichen Lautsprecherdurchsagen, an der nervigen Zockelei zum Flughafen. Sogar am Stau auf dem Autobahnring, an zu teuren Mieten und vor allem an zu wenig Wohnungen in Stadt und Umland.

Seit Jahren blockieren sich die Politiker bei der Finanzplanung der zweiten S-Bahn-Stammstrecke gegenseitig. (Foto: ddp)

Alle Schuld den Garmischern! Denn wenn München im Juli nicht den Zuschlag für die Winterspiele 2018 bekommt, kann das ja nur an der laxen Olympia-Haltung der Werdenfelser gelegen haben. Wenn es aber keine Spiele gibt, wird's auch nichts mit einer neuen S-Bahn-Stammstrecke, mit einem besseren Verkehrssystem, mit neuen Wohnflächen, mit niedrigeren Mieten und so weiter und so weiter.

Natürlich haben 14 Tage Winterparty im Jahre 2018 eigentlich rein gar nichts mit der Frage zu tun, wie im Großraum München in Zukunft rund eine Million Pendler täglich einigermaßen schnell und störungsfrei zur Arbeit kommen können, wie sich Stadt und Land entlang von funktionierenden S-Bahn-Strecken entwickeln können und wo dort neuer, bezahlbarer Wohnraum entstehen könnte.

Politiker in Stadt, Land und Bund haben es aber geschafft, alle diese Fragen so eng mit einem Olympia-Zuschlag für München zu verknüpfen, dass es bei einer (durchaus wahrscheinlichen) Niederlage eigentlich nur noch heißen kann: Nichts geht mehr, aus nichts wird was, alle Planungen für S-Bahn, Infrastruktur und Siedlungsentwicklung gehen von vorne los. Nichts anderes hat Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer diese Woche den Münchnern letztlich gesagt, als er die unselige Verknüpfung zwischen Olympia 2018 und allen drängenden Problemen ins Extreme trieb: Ohne Zuschlag des IOC werde der Bund nicht bereit sein, das Geld für den milliardenteuren S-Bahn-Tunnelbau auszugeben.

Klar ist: Sportliche Großereignisse in Deutschland setzen finanzielle Mittel frei, die sonst nicht so rasch fließen könnten. Der stete Verweis der Bundes- wie Landespolitiker auf die unbestimmte Olympia-Hoffnung kann aber kaum tarnen, dass es ebendiese Politiker im vergangenen Jahrzehnt versäumt haben, gemeinsam Lösungen für die drängenden Probleme von S-Bahn-Tunnel bis Flughafenanbindung zu finden.

"Der zweite Tunnel ist erforderlich, damit das Gesamtsystem läuft - man darf ihn nicht einfach separat berechnen. Der Verkehr ist auf der bestehenden Stammstrecke nicht mehr zu bewältigen - dieser Faktor muss in die Kostenbetrachtung mit rein", sagte Bayerns Verkehrsminister Otto Wiesheu der SZ - es war im Juli 2001. Zehn Jahre lang haben es die Verantwortlichen nicht geschafft, dieses existentielle Projekt zu finanzieren: nicht Wiesheu, weder als Bahnvorstand noch als Verkehrsminister; nicht seine Nachfolger, egal ob sie aus CSU oder FDP kamen; nicht die Bundesverkehrsminister, egal ob sie aus SPD oder CSU kamen; nicht die Ministerpräsidenten, egal ob sie Stoiber, Beckstein oder Seehofer hießen.

Stattdessen hing man allzu lange Transrapid-Träumen nach, die eine Menge Geld verschlangen. Der Traum hielt der Realität nicht stand - eine bessere Bahn-Anbindung zum Flughafen gibt es bis heute nicht. Gleiches droht nun, wenn der S-Bahn-Tunnel nicht gebaut wird: Projekt tot, Politik ratlos.

Der rot-grünen Stadtregierung, geschweige denn den Umlandgemeinden und -landkreisen ist es nicht gelungen, konstruktiv an einer Finanzierung des Großprojekts mitzuwirken oder vernünftige Alternativen zu entwickeln, um den täglichen Kollaps des S-Bahn-Systems zu verhindern. U- und Trambahnen wurden ausgebaut - doch an der Stadtgrenze ist Schluss mit dem vernetzten Verkehrssystem. Zugleich betonen alle, die in der Regionalplanung mitreden wollen, wie wichtig ein solches System dafür ist. So auch Münchens Stadtbaurätin Elisabeth Merk: "Mobilität ist der Schlüsselbegriff für jede weitere Entwicklung. Das heißt, wir brauchen einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr", sagte sie diese Woche in der SZ. Und weiter: "Es macht keinen Sinn, wenn im Umland große Wohnsiedlungen entstehen, die schlecht angebunden sind."

Natürlich werden weiterhin Häuser und Wohnungen gebaut - dann steigen noch mehr Pendler aufs Auto um. Regionalplaner sagen deshalb seit langem, dass das Pendeln an sich das Übel ist: In der Zukunft müsse es deshalb auch außerhalb Münchens öfters möglich sein, in derselben Gemeinde zu wohnen und zu arbeiten. Das ist richtig - nur nutzt das in der Gegenwart dem Ingenieur nichts, der jeden Tag von der Wohnung in Eichenau zum Arbeitsplatz bei Siemens in Neuperlach fahren muss.

Das Leben im Großraum kommt nicht zum Erliegen, wenn der Tunnel nicht gebaut wird. Wenn es aber normal wird, dass ein Münchner Pendler jeden Tag mehr Zeit in der S-Bahn als bei der Familie verbringt, dann wird das Leben hier eben nicht mehr so attraktiv sein. Aber daran sind ja die Garmischer schuld.

© SZ vom 07.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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