Landgericht München:Sterilisation ohne Genehmigung - Landgericht verurteilt Chirurg

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Der Prozess gegen Ruddy B. zieht sich seit April. Nun ist ein Urteil gesprochen worden. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Einen Patienten verwechselt, den anderen ohne Einwilligung operiert: Der Arzt erhält eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, ein Elternpaar von neun Monaten, jeweils auf Bewährung. Am Ende nimmt der Prozess noch eine unerwartete Wendung.

Von Andreas Salch

Eine fatalere Situation als die, in die der Chirurg Michael K. sich und zwei seiner Patienten Anfang 2016 brachte, ist nur schwer vorstellbar. Im März jenes Jahres unterzog sich bei ihm in einer Münchner Klinik ein damals 17-Jähriger einer Leisten-OP. Außerdem sterilisierte K. den jungen Mann. Nach dem Eingriff stellte der Chirurg bestürzt fest, dass er den jungen Mann mit einem anderen Patienten verwechselt hatte. Dessen OP stand vier Wochen später an. Auch ihn operierte Michael K. wegen eines Leistenbruchs und auch ihn sterilisierte er - angeblich weil der damals 24-Jährige und dessen Eltern es so wollten. Eine schriftliche Einwilligung für die Vasektomie des jungen Mannes hatte K. allerdings nicht.

Doch nicht nur das. Die beiden jungen Männer sind Autisten. Der Mutter des 17-Jährigen drängte sich nach der OP der schlimme Verdacht auf, Michael K. habe ihren Sohn wegen seiner Entwicklungsstörung sterilisiert. Denn als K. ihr seinen schweren Fehler eingestand, soll er sie gefragt haben, ob sie denn einmal die Kinder ihres Sohnes hätte aufziehen wollen.

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An diesem Donnerstag verurteilte die 20. Große Strafkammer am Landgericht München I den 53-jährigen Arzt unter anderem wegen schwerer sowie versuchter schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung. Auch die Eltern des zum Zeitpunkt der OP 24-Jährigen mussten sich in dem Verfahren verantworten. Ihnen wurde vorgeworfen, Michael K. darum gebeten zu haben, ihren Sohn im Zuge der Leisten-OP auch zu sterilisieren. Wegen Anstiftung zur schweren Körperverletzung verhängte die Kammer unter Vorsitz von Richter Matthias Braumandl gegen beide jeweils neun Monte Haft auf Bewährung.

In seiner Urteilsbegründung hob das Gericht hervor, dass "definitiv keiner der drei Angeklagten mit krimineller Energie" gehandelt habe, sondern vielmehr in dem "Bewusstsein, nichts Falsches zu tun". Weder Michael K., so Richter Braumandl, noch die mitangeklagten Eltern, die als Betreuer für ihren mittlerweile 31-Jährigen Sohn eingesetzt sind, stünden der "NS-Rassenideologie" nahe.

Zum Prozessauftakt vor zwei Wochen hatte die Mutter des heute 31-Jährigen bei ihrer Vernehmung beteuert, ihr Sohn habe in Gesprächen mit ihr und ihrem Mann immer wieder erklärt, er wolle später einmal keine Familie gründen. "Das kann ich nicht. Ich habe genug mit mir selbst zu tun", soll er gesagt haben. Gleichwohl lag Micheal K. keine schriftliche Einwilligung des damals 24-Jährigen für den Eingriff vor. Auch wenn dessen Eltern die gesetzlichen Betreuer seien, hätten sie sich nicht dafür aussprechen dürfen, ihren Sohn sterilisieren zu lassen. Überdies seien die Voraussetzungen für die Genehmigung einer Sterilisation bei "Weitem nicht erfüllt" gewesen, sagte Richter Braumandl. Michael K. hätte die "besondere Pflicht gehabt", sich mit der Situation über die Aufklärung seines Patienten und dessen Eltern auseinanderzusetzen.

Am vorletzten Verhandlungstag stellt sich ein Patient als doch nicht zeugungsunfähig heraus

Die Unterredung mit der Mutter, deren Sohn von K. sterilisiert wurde, weil er ihn verwechselt hatte, bezeichnete der Vorsitzende als "kommunikatives Desaster". Tatsächlich hatte K. seinen schwerwiegenden Fehler nicht nur sofort eingeräumt, sondern sich dafür eingesetzt, dass die Vasektomie in einer Klinik in Ingolstadt rückgängig gemacht werde. Die Staatsanwaltschaft war in ihrer Anklage noch davon ausgegangen, dass auch der damals 17-Jährige dauerhaft zeugungsunfähig sei. Erst am vorletzten Verhandlungstag stellte sich jedoch heraus, dass dies offenbar nicht der Fall ist. Inzwischen sei K.'s ehemaliger Patient "nicht ausschließbar" wohl Vater eines Kindes, sagte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft am Rande der Verhandlung. Aus diesem Grund verurteilte die Kammer K. in diesem Fall lediglich wegen versuchter schwerer Körperverletzung.

Neben der verhängten Strafe wies das Gericht den Chirurgen an, eine Fortbildung zum Thema "Ärztliche Aufklärung und Einwilligung" zu besuchen und einen Betrag in Höhe von 10 000 Euro an "Aktion Mensch" zu zahlen. Die Eltern, die K. dazu brachten, ihren Sohn bei der Leisten-OP auch zu sterilisieren, bekamen ebenfalls die Auflage, eine Fortbildung zu machen. Thema: "Rechte und Pflichten von ehrenamtlichen Betreuern".

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