Erinnerungsarbeit:Zäsur beim Historischen Verein Wolfratshausen

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Frisch, streitbar und gerne ausgesprochen weiblich: Das jüngste Projekt "Weibsbilder" ist charakteristisch für den Historischen Verein Wolfratshausen. Das Foto zeigt Ludwig Gollwitzer, Hannelore Greiner, Wolfgang Schäl, Anja Brandstäter, Sybille Krafft und Bernhard Reisner (von links) bei der Programmvorstellung im April 2021. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Sybille Krafft gibt nach mehr als 20 Jahren den Vorsitz an Wiggerl Gollwitzer ab. Sie sieht ihre ganze Energie an einem anderen Ort gefordert.

Von Stephanie Schwaderer, Wolfratshausen

Beim Historischen Verein Wolfratshausen endet eine Ära. Sybille Krafft gibt nach 22 Jahren das Amt als Vorsitzende ab. Ihr bisheriger Stellvertreter Bernhard Reisner scheidet aus gesundheitlichen Gründen ebenfalls aus. Künftig leiten Wiggerl Gollwitzer und Annekatrin Schulz den 270 Mitglieder starken Verein, der sich in den vergangenen Jahren als eine äußerst lebendige und kreative, aber auch kritische und kämpferische Kraft profiliert hat. "Alles hat seine Zeit", sagt Krafft. Sie lege den Verein "guten Gewissens und gut bestellt in andere Hände". Fortan wolle sie ihre ganze Energie in den Erinnerungsort Badehaus stecken.

Wer im SZ-Archiv blättert, stößt auf einen Bericht aus dem Jahr 1997 von der ersten Sitzung des frisch gegründeten Historischen Vereins in der Loisachhalle. Es wurde diskutiert, welches Aufgabenfeld die Ehrenamtlichen beackern wollten. Die einen fühlten sich zu den Kelten hingezogen, andere, darunter auch die Wolfratshauser Historikerin Sybille Krafft, mahnten an, die vordringliche Aufgabe müsse darin bestehen, die noch verbliebenen Zeitzeugen zu befragen und die Geschichte des Zweiten Weltkriegs auf Landkreisebene auszuleuchten. Vier Jahre später übernahm sie offiziell den Vorsitz.

Seither hat der Historische Verein mit zahllosen Veranstaltungen, ausgefallenen Projekten, hochwertigen Ausstellungen und zehn professionellen Publikationen auf sich und das kulturelle Erbe der Stadt und der Region aufmerksam gemacht. Dafür wurde er unter anderem mit dem Tassilo-Preis der Süddeutschen Zeitung (2008) ausgezeichnet, mit der Isar-Loisach-Medaille und dem Deutschen Preis für Denkmalschutz (2011), der Bayerischen Denkmalschutzmedaille und dem Kulturpreis der Stadt Wolfratshausen (2017).

2008 gewann die Projektgruppe jüdische Spurensuche des Historischen Vereins einen Tassilo-Preis: Marlene Petsch, Christine Noisser, Hannelore Greiner, Dagmar Bäuml, Kirsten Jörgensen und Sybille Krafft (von links). (Foto: Manfred Neubauer)

Zugleich hat er einen Ableger hervorgebracht, der ihm mittlerweile in mancher Hinsicht über den Kopf gewachsen ist: Der Verein Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald, 2012 gegründet von Mitgliedern des Historischen Vereins und der Siedlungsgemeinschaft Waldram, unterhält einen Erinnerungsort von internationaler Bedeutung. Auf die Arbeit dort will Krafft sich nun konzentrieren. "Wir werden immer noch nicht institutionell gefördert", sagt sie, "das ist eine unvorstellbar harte und mühselige Arbeit. Deshalb muss und will ich mich darauf konzentrieren. In der jetzigen Zeit mehr denn je."

Der Historische Verein sei deshalb nicht weniger wichtig. "Das sind zwei historische Projekte, jedes hat seine Berechtigung." Stolz ist sie darauf, in Wolfratshausen immer auch "heiße Eisen" angefasst zu haben: den Denkmalschutz, die jüdische und die NS-Geschichte der Stadt. Während andere Geschichtsvereine häufig aus älteren Herren bestehen, die sich gerne in Hinterzimmer zurückziehen, füllten die Aktiven um Krafft frisch und frech mit historischen Revuen die Loisachhalle. Beim jüngsten "Weibsbilder"-Projekt sind neben engagierten Mitgliedern auch Schülerinnen und Schüler eingebunden. "Ich bin glücklich, dass sich viele Menschen hier vom Geschichtsvirus haben anstecken lassen", sagt Krafft.

Wird sie denn loslassen können? Krafft lacht. "Ich habe so viele andere Dinge in den Händen, dass ich froh bin, wenn ein Kind groß geworden ist und auf eigenen Füßen stehen kann. Ich werde mich weiterhin daran erfreuen." Zudem werde es weiterhin einen intensiven Austausch und gemeinsame Projekte geben. Die erste vom Historischen Verein gestaltete Ausstellung "Die Oase des Friedens" über eine jüdische Mädchenschule in Wolfratshausen wird im kommenden Jahr ihre 50. Station in Deutschland beziehen: im Waldramer Badehaus.

Bislang hat Wiggerl Gollwitzer als aktives Mitglied im Historischen Verein vor allem sein schauspielerisches Talent ausgelebt, hier bei einer Versteigerung im alten Krankenhaus. (Foto: Hartmut Pöstges)
Im neuen Vorstand arbeitet Gollwitzer als Vorsitzender zusammen mit Anja Brandstäter (Schriftführerin), Annekatrin Schulz (2. Vorsitzende) und Beisitzerin Hannelore Greiner (hintere Reihe von links) sowie Justine Bittner (Beisitzerin) und Schatzmeisterin Mechthild Felsch (vorne von links). (Foto: Justine Bittner/oh)

Wie man einen Verein leitet, muss sich Wiggerl Gollwitzer nicht erklären lassen. 38 Jahre lang war er der Kopf der Loisachtaler Bauernbühne. Vor fünf Jahren hat er sich dort aus dem Vorstand zurückgezogen, "um Jüngeren Platz zu machen und selbst etwas kürzer zu treten", sagt der 64-Jährige. Daraus wird nun erst einmal nichts. Sein Ziel sei es jedoch, die kommenden zwei Jahre auch dazu zu nutzen, nach Nachfolgern Ausschau zu halten. "38 Jahre möchte ich das nicht machen."

Inhaltlich habe Krafft die Latte "fast unerreichbar hoch" gelegt, auch durch ihre Kontakte zum Bayerischen Rundfunk, sagt Gollwitzer. "Genauso weitermachen wird nicht möglich sein." Sein Ziel sei es, weiterhin sechs Veranstaltungen im Jahr anzubieten und die "Geschichte Wolfratshausens erlebbar" zu machen. Dabei wolle er stärker den Burgverein, das Museum und das Stadtarchiv einbinden und die Zusammenarbeit mit dem Geretsrieder Stadtmuseum und dem Historischen Arbeitskreis Geretsried stärken.

Seine Stellvertreterin, Museumsleiterin Annekatrin Schulz, freut sich ebenfalls auf einen "intensiven Austausch". "Ich arbeite im Museum, ich bin im Historischen Verein, meine Hoffnung ist, dass ich das künftig stärker verknüpfen kann." Ihr Herzensanliegen sei es, mit den Angeboten am Untermarkt 10 zur Belebung der Altstadt beizutragen. Ein erster Schritt: Die nächste Veranstaltung im Museum - ein Brecht-Abend, bei dem es um eine mutige junge Wolfratshauserin geht - hat sie über den Verteiler des Historischen Vereins angekündigt.

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