Weltreise:Ohne Segelerfahrung um die Welt

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Vier junge Männer aus dem Tölzer Land, die von Meer und Booten bislang keine Ahnung hatten, wollen die Erde umrunden. Was sie dafür wissen müssen, bringen sie sich weitgehend selbst bei.

Von Stephanie Schwaderer, Königsdorf

Die Aufnahme ist verwackelt und unscharf: Da steht ein junger Typ in dicker roter Regenjacke auf einem Segelboot und blickt mit gequältem Lächeln in die aufgewühlte Nordsee. Die nächsten Stunden wird die Kamera ausgeschaltet bleiben. Tom Schwarz, so heißt der Neunzehnjährige, wird sich zusammen mit seinen Freunden im Cockpit festbinden und später freimütig gestehen, dass er "krass Schiss" hatte. Die Szene stammt aus einem der ersten Videos, das die "Segeljungs" ins Netz gestellt haben. "Segeljungs" nennen sich vier Burschen aus dem Oberland, die zwischen Bergen und Starnberger See, Kühen und Kirchenglocken aufgewachsen sind - und nun die Welt umsegeln wollen. Drei Jahre haben sie dafür eingeplant. Dass sie vom Meer und von Booten, von Stürmen und Navigation bislang so gut wie keine Ahnung haben, hält sie nicht auf. Damit kokettieren sie. Sind sie verrückt?

Vincent Goymann ist der Jüngste in der Runde und der Letzte, der an Bord gehen wird. Verrückt wirkt er am Tag vor seiner Abreise nicht. Eher enervierend gelassen. In Socken schlurft er durch das gemütliche Haus in Königsdorf, in dem er groß geworden ist, stopft seine Bettdecke in einen Seesack und beantwortet Fragen am liebsten in ganz kurzen Sätzen. "Es ist ein Abenteuer." "Wann, wenn nicht jetzt." "Angst habe ich nicht, aber Respekt." An dieser Stelle zögert er und sagt dann doch noch ein bisschen mehr: "Ich werde Angst haben, ganz bestimmt. Wir werden alle Angst haben. Wir werden uns die Seele aus dem Leib kotzen. Auch das gehört dazu."

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Die anderen Burschen - Tom Schwarz aus Osterhofen, Tim Hund aus Gaißach und Michi Bischof aus Sachsenkam - bringen sich seit vier Wochen das Segeln bei, zwei von ihnen haben an der Ostsee den "Sportbootführerschein See" gemacht. Vincent hat in dieser Zeit noch Geld für die Fahrt und für den Führerschein verdient. "Den wollte ich noch haben", sagt er. "Bin ja gerade erst 18 geworden."

Was seine Freunde in den ersten Wochen ihrer Reise erlebt haben, lässt sich auf Instagram und Youtube, via Podcast und auf ihrer Homepage nachverfolgen. Die "Segeljungs" scheuen keine Mühe, den Rest der Welt an Freud und Leid teilhaben zu lassen. Wer sich durch ihre sogenannten Vlogs, Video-Blogs im Internet, klickt, kann mitverfolgen: Sie haben ein 14-Meter-Boot von Fehmarn durch den Nordostseekanal zur französischen Küste gesteuert und die ersten Krisen durchgestanden: Seekrankheit, Motorprobleme, Erschöpfung. Die ersten sechs Tage hat sie ein erfahrener Skipper begleitet. Seither sind sie auf sich gestellt - und ungeplant schon einmal kurz in England angelandet. Tim ist genervt, weil sie fast keine Strecke gemacht haben, Tom begeistert: "Einfach so mal schnell in England, wie geil ist das?!"

Die Kameras - Generation Instagram - immer griffbereit

Warum sollte man sich das anschauen? Weil es hunderttausend langweiligere Dinge im Internet gibt? Weil sich da ein paar sympathische Typen etwas trauen, von dem man selbst immer nur geträumt hat? Oder, weil hier junge Menschen ein schwer kalkulierbares Risiko eingehen?

Vincent und seine Freunde kennen sich seit der fünften Klasse am Tölzer Gymnasium. Was sie gemeinsam, oft zu sechst, in den Ferien erlebt haben, teilen sie seit einigen Jahren im Internet. In musikunterlegten Videoclips tauchen sie in einen Bergsee und fliehen vor Gewittern, radeln bei Dauerregen durch Norwegen und kentern beim Kajakfahren in Spanien. Die Kameras - Generation Instagram - immer griffbereit. Künstlerisch wertvoll sind die Filme nicht, aber authentisch. Sie zeigen junge Leute, die gerade mehr oder weniger Spaß haben, sich dabei filmen und sich im Nachhinein am Gefilmten ergötzen werden. Im Tölzer Kino haben die Jungs damit vor kurzem 200 Leute erreicht. Warum nun eine Weltumsegelung?

"Wir wollen zeigen, dass man nach der Schule etwas anderes machen kann, als ein halbes Jahr nach Australien zu fahren und dann ein sinnloses Studium zu beginnen", sagt Vincent. Tim habe die Idee mit dem Segelboot ins Spiel gebracht. Weil es ein "cooles Fortbewegungsmittel" sei, ein Synonym für Freiheit. "Wir wollen die Welt sehen und echte Erfahrungen machen, eine Mega-Reise, von der wir vielleicht einmal unseren Kindern erzählen werden." Von den sechs besten Freunden sind mittlerweile zwei abgesprungen. Vincent hat sich vor wenigen Tagen von seiner Freundin getrennt. Ein Opfer, das die Reise gefordert habe, sagt er.

Das Meer kennt er bislang nur von ein paar Fahrten mit der Fähre. Am Wochenende vor seiner Abreise hat er sich auf dem Wörthsee erklären lassen, wie eine Wende geht. "Die Jungs sagen, dass ich nach vier, fünf Tagen weiß, wie es läuft." Nur dass sie nicht über den Wörthsee schippern, sondern als erstes gleich einmal die Biskaya durchkreuzen werden - ein Gebiet, das bei Seglern wegen seiner Stürme und eines bisweilen extremen Seegangs berüchtigt ist.

Was sagen die Eltern dazu? "Man muss die Kinder ziehen lassen", antwortet Vincents Vater. Wolfgang Goymann ist Biologe, ein ruhiger, beherrschter Mensch. Die Jungs, sagt er, erfüllten sich einen Traum. "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür, ich freue mich für sie."

Könnte der Traum nicht schnell zum Albtraum werden? "Natürlich hoffe ich inständig, dass es gut geht", sagt er. Aber sie seien erwachsen, sie hätten sich entschieden und sie stünden füreinander ein. "Das sind tolle Typen, ich bin begeistert von ihnen." Als Biologe wisse er, dass Menschen Gefahren falsch einschätzten. Das größte Risiko gehe jeder ein, der in ein Auto steige. Was er zudem herausgefunden habe: "Je weniger die Leute vom Segeln verstehen, desto verrückter kommt ihnen dieser Plan vor."

Wie gehen Freiheit und Follower zusammen?

Ein Anruf bei Wolfgang Quix. Der 82-Jährige ist alle Regatten gefahren, die einen Hochseesegler auf dieser Welt reizen; er hat Kap Horn umsegelt und Spitzbergen und neunmal den Atlantik überquert - auch allein in einem 5,70-Meter-Bötchen. Die "Segeljungs" hat er vor ein paar Monaten persönlich kennengelernt.

"Die haben Kontakt zu mir aufgenommen, und wir haben ausführlich über alles gesprochen, was da auf sie zukommen könnte." Das Auftreten der Burschen habe ihn überzeugt. Die "Barfußroute", eine Segelstrecke, die vor allem durch tropische und subtropische Gebiete führt, traue er ihnen zu. Mittlerweile verfolgt auch Quix im Internet, was die vier Oberbayern auf dem Wasser treiben. "Alle Achtung", sagt er, "alles, was ich gesehen habe, bestätigt meine Meinung: Die Jungs machen das!"

Bleibt die Frage: Wie gehen Freiheit und Follower zusammen? Wie frei bin ich, wenn ich mich in meiner Freiheit filmen muss? Wie viele Klicks müssen die "Segeljungs" an Land ziehen, damit sie ihre Reise finanzieren können? Für den Anfang haben sie all ihre Ersparnisse und das Geld eines anonymen Investors in dieses Abenteuer gesteckt. Die Hoffnung ist, dass Sponsoren einspringen werden. Vier beste Freunde auf einem kleinen Segelboot. Und mit ihnen die ganze Welt.

© SZ vom 23.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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