Zeitgeschichte:"Wir können dem Hass etwas entgegensetzen"

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Lea Goren und Jonathan Coenen beim Interview in Israel. (Foto: Justine Bittner/oh)

Joseph Coenen gehört zu den jungen Leuten, die sich im Erinnerungsort Badehaus in Waldram engagieren. Auf einer Israel-Reise haben sie Lea Goren interviewt - eine Begegnung, die nachwirkt.

Interview von Stephanie Schwaderer, Wolfratshausen

Der 22-jährige Student Joseph Coenen war Teil einer fünfköpfigen Delegation, die vor einem Jahr im Rahmen des Bundesförderprogramms "Jugend erinnert" nach Israel reiste, um mit der Kamera Erinnerungen von Zeitzeugen für das Badehaus in Waldram einzufangen. Am Sonntag, 25. Februar, laden er und weitere junge Leute aus dem Badehaus zu einem Abend unter dem Motto "(Dis)placed? - Jugend erinnert" ein. Auf dem Programm steht unter anderem die Premiere des Dokumentarfilms "(Dis)placed", der die Lebensgeschichte von Lea Goren erzählt.

SZ: Herr Coenen, was hat es mit dem Titel "(Dis)placed" auf sich?

Joseph Coenen: Lea Gorens Geschichte ist eine der Flucht und der Vertreibung, aber gleichzeitig auch des Ankommens. Sie war eine der vielen Displaced Persons im Lager Föhrenwald, ist dort also auch ein Stück weit beheimatet und hat schließlich in Israel eine neue Wahlheimat gefunden - ist also auch placed.

Joseph Coenen engagiert sich ebenso wie sein Bruder Jonathan im Badehaus. (Foto: Justine Bittner/oh)

Wie haben Sie den Kontakt geknüpft?

Lea hatte eine große Skepsis, noch einmal nach Deutschland zu kommen. Aber zur Eröffnung des Badehauses im Oktober 2018 hat sie es getan. Da ist sie mit einem ihrer Söhne angereist. Seither steht ihr Name in unserem Wald der Erinnerung an der Wand. Als wir die Reise geplant haben, haben wir überlegt: Wer hat noch Erinnerungen an Föhrenwald? Wen können wir befragen? Und da haben wir unter anderem Kontakt zu ihr und ihrer Familie aufgenommen.

Um ihr im Wald der Erinnerung nicht nur einen Namen, sondern auch eine Stimme zu geben?

Genau, das machen wir ja mit vielen Zeitzeug:innen. Mittlerweile haben wir mehr als 80 Interviews geführt mit Displaced Persons und Heimatvertriebenen, zur NS-Zeit oder zum Todesmarsch. Und darum ging es uns auch bei dieser Reise. Wir waren drei junge Leute - mein Bruder Jonathan, André Mitschke und ich. Rhiannon Moutafis, die vierte im Bunde, kam später mit zum Israel-Team. Mit auf der Reise waren zudem die Badehaus-Vorsitzende Sybille Krafft und unsere Fotografin und Beirätin Justine Bittner. Die beiden haben uns die ganze Zeit begleitet und gecoacht. Wir hatten ein wirklich anstrengendes Programm: an drei Tagen jeweils drei Interviews, dazu viele intensive Begegnungen und die Kontaktpflege mit Zeitzeugen.

Was genau wollten Sie von Lea Goren wissen?

Zunächst ging es einfach darum, ihre Biografie kennenzulernen. Sie wurde am Ende des Krieges in der heutigen Ukraine geboren und ist dann mit ihren Eltern in den Westen geflohen. Besonders hat uns natürlich ihre Erinnerung an Föhrenwald interessiert. Aber auch über die Zeit danach haben wir gesprochen: Sie war auf der Exodus, dem berühmten Flüchtlingsschiff, mit dem 1947 europäische Juden von Frankreich nach Palästina gelangen wollten. Dort angekommen, wurde sie zurück in ein Internierungslager nach Hamburg geschickt. Erst 1948 hat sie es dann geschafft, in Palästina Fuß zu fassen. Unglaublich, was sie alles erlebt hat. Zudem wollten wir wissen, wie sie heute auf die Geschichte blickt und was das Badehaus für sie bedeutet.

Was hat Sie beeindruckt?

Zum einen, dass sie verziehen hat. Das ist wirklich stark! Sie sagt, es war eine schreckliche Zeit, aber man muss vorangehen und nach vorn schauen. Zum anderen der Wahnsinn ihrer Geschichte, dass sie im Krieg auf der Flucht geboren wurde. Welche Zufälle es brauchte, dass ihre Mutter und sie überlebt haben. Und dass sie dann ein neues Leben voller Zuversicht angefangen hat. Daran kann man sich ein Vorbild nehmen, das gibt einem Hoffnung. In Israel ist sie noch immer viel unterwegs, geht an Schulen und berichtet, was sie erlebt hat. Da erzählt sie dann auch vom Badehaus und dass es dort junge Leute gibt, die die Erinnerung wachhalten.

Sie haben ihr einen ganzen Dokumentarfilm gewidmet. Was ist darin zu sehen?

Es gibt drei Elemente: das Interview, das in einer neutralen Studio-Atmosphäre aufgenommen ist. Historisches Material, vor allem aus Föhrenwald natürlich. Und dann haben wir noch mit einem Motion-Designer zusammengearbeitet und sehr schöne 3-D-Animationen von Stationen ihres Lebenswegs erstellt, zu denen es kein historisches Material gab. Man kann also richtig in die Geschichte eintauchen.

Den zweiten Teil des Abends gestalten Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Icking. Wie kam es zu dieser Kooperation?

Wir brauchten einen Tandem-Partner, um eine Förderung des Bundeskulturministeriums für dieses Projekt zu bekommen. Und das war das Rainer-Maria-Rilke-Gymnasium in Icking. Zwei Seminare haben sich mit dem Schicksal von Holocaust-Überlebenden und Heimatvertriebenen beschäftigt. Am Sonntag stellen sie ihre Ergebnisse vor. Manche haben auch über Zoom Zeitzeugen befragt, andere haben sich mit der Vertreibung ihrer Großeltern aus Schlesien und dem Sudetenland befasst.

Bekommt das Badehaus mit diesem Projekt junge Verstärkung?

Das wünschen wir uns natürlich. Der Abend steht auch unter dem Zeichen zu zeigen, was junge Menschen im Badehaus alles machen können. Wir dürfen Verantwortung tragen. Wir dürfen Projekte mit Coaching umsetzen. Hier können junge Leute an die lokale Geschichte erinnern, die eine internationale Ausstrahlung hat, und zeigen, wie wichtig es ist, nicht zu vergessen.

Wie sieht Ihre persönliche Bilanz aus: Was hat Ihnen dieses Projekt gebracht?

Mich beschäftigt das Erstarken der AfD und des Rechtsextremismus sehr. In den vergangenen Wochen und Monaten habe ich mich intensiv mit dem Film befasst und durfte ihn - zusammen mit unserem Israel-Team - produzieren. Das hat mir Kraft gegeben. Weil ich das Gefühl habe: Wir können an der Versöhnung mitwirken. Und wir können dem Vergessen, dem Hass und dem Rechtsextremismus etwas entgegensetzen. Das motiviert mich und das stärkt mich.

Sonntag, 25. Februar, 18 Uhr, Erinnerungsort Badehaus, Waldram, Eintritt 12 Euro, Schüler und Studierende frei

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