Erinnerungsort Badehaus:Besuch im unsagbaren Land

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Shai Lachmann, Sohn des ersten gewählten Leiters des DP-Lagers Föhrenwald. (Foto: Hartmut Pöstges)

Wo einst die Eltern verfolgt und gequält wurden, reisen die erwachsenen Kinder nun auf Spurensuche. Eine Station ist das ehemalige jüdische Lager Föhrenwald. Viele Überlebende haben kaum über ihr Schicksal gesprochen.

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

Chaim heißt auf Hebräisch "Leben". Es ist auch ein Name, und die weibliche Form lautet Chaya. Man ahnt, was in Eltern vorgegangen sein mag, die ihr Kind so genannt haben. Chaya Mayor ist Tochter jüdischer Überlebender der Shoa. Sie wurde am 12. Mai 1948 geboren - zwei Tage, bevor David Ben Gurion den Staat Israel ausrief. Allerdings kam das Mädchen nicht im Land der Hoffnung so vieler Jüdinnen und Juden auf die Welt, sondern auf Zypern. Dorthin hatte die britische Mandatsmacht jene jüdischen Überlebenden gebracht, die nach dem Zweiten Weltkrieg versucht hatten, illegal nach Palästina einzuwandern. Bei Recherchen über das Leben ihrer Eltern hat Chaya Mayor in einem Archiv auf Zypern ihre Geburtsurkunde gefunden. Ein Glück, so sagt die 75-Jährige, dass ihre Mutter ihr zuvor wenigstens ein Detail aus ihrem Vorleben erzählt hatte, von dem beide Eltern ansonsten weitgehend schwiegen. Denn sonst wäre sie von der Notiz in dem Dokument, dass sie das zweite Kind ihrer Mutter war, völlig überrascht worden. Sie hätte sich womöglich auf die Suche nach diesem Geschwisterkind gemacht. Und die wäre vergeblich gewesen.

Chaya Mayor, Mädchenname: Goldberg, ist gerade gemeinsam mit vierzig anderen Israelinnen und Israelis in Deutschland unterwegs. Sie alle sind auf der Suche nach Spuren ihrer Eltern oder anderer Angehöriger, die über die damalige Untergrundbewegung Bricha (hebräisch: Flucht) nach Palästina flohen. Zwischen 1944 und 1948 machten sich etwa 250 000 Juden aus Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei, Rumänien, Jugoslawien und der Sowjetunion mit Hilfe der Bricha auf diesen Weg.

Ort der Begegnung: Vor wenigen Wochen begrüßte Jonathan Coenen (rechts) Gäste aus Israel im Waldramer Badehaus. Der Gegenbesuch ist auf unbestimmte Zeit verschoben. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Gruppe verfolgt die Spuren der Bricha von Wrocław (Breslau) bis Venedig und macht an verschiedenen Orten Station, zuletzt etwa in Bad Reichenhall, wo einst genauso wie in Föhrenwald, dem heutigen Waldram, ein Lager für Displaced Persons (DP) war. Schon zum zweiten Mal ist auch der Erinnerungsort Badehaus Föhrenwald-Waldram eine Station auf dem Weg der Jüdinnen und Juden. Einer von ihnen würdigte am Dienstag in seiner Begrüßung die "magnificent people" (großartigen Leute), die das Badehaus ehrenamtlich geschaffen haben und betreiben. Jonathan Coenen, stellvertretender Vorsitzender des Badehaus-Vereins, gab eine kurze Einführung und betonte angesichts der Affäre um ein faschistisches Flugblatt aus der Jugend des Freie-Wähler-Chefs Hubert Aiwanger, dass Dokumentations- und Erinnerungsstätten wie das Badehaus wohl dringender denn je gebraucht würden.

Einer der Besucher war nun bereits zum vierten Mal im Badehaus: Shai Lachmann, Vorsitzender des Vereins der Nachkommen Föhrenwalds in Israel. Lachmann wurde am 10. Januar 1947 im DP-Camp Föhrenwald geboren. Der Orientalist, der neben Hebräisch auch Arabisch und Englisch spricht, ist der Sohn des damals jungen polnischen sozialistischen Zionisten Gedalyahu (auch: Gustav) Lachmann, der um die Zeit der Geburt seines Sohnes Leiter des DP-Lagers war. Shai Lachmann hat unter dem Titel "Wie ein brennendes Feuer" ein Buch über seinen Vater geschrieben, das bisher aber nur auf Hebräisch erschienen ist.

Die Eltern von Shai Lachmann: Gedalyahu (links) und Amalya. (Foto: Hartmut Pöstges/Erinnerungsort Badehaus)

Vater Lachmann führte in Föhrenwald ein Doppelleben, so erfährt man im Buch "Lebensbilder" des Badehaus-Vereins: "Nachts arbeitet er heimlich für die militärische Untergrundorganisation Haganah, die im nahegelegenen Hochlandlager Königsdorf ein geheimes Trainingscamp für den Kampf in Palästina unterhält." Tagsüber aber habe er im Lager Föhrenwald für ein reges politisches, soziales und kulturelles Leben gesorgt. Und für die Bricha habe er Tausende jüdischer Flüchtlinge sicher nach Palästina gebracht.

Sicher dorthin zu kommen war für viele illegale Einwanderer nicht einfach. Chaya Mayor erzählt, dass ihre Eltern, die es über Italien versucht hatten, von den Briten nach Zypern gebracht wurden. Dort mussten sie von Juli 1947 bis Februar 1949 im Internierungslager ausharren. Über ihr Schicksal als jüdische Polen in der Nazizeit schilderten sie ihrer Tochter ein Leben lang so gut wie nichts. Sie wollten, so sagt Chaya Mayor, den Namen Deutschland nicht aussprechen.

Zwei Ereignisse aber offenbarten ihr die Eltern. Ihre Mutter hatte auf der Flucht über die Alpen ein Kind zur Welt gebracht, das noch auf dem Weg verstarb. So erklärt sich der Eintrag "zweites Kind" in der Geburtsurkunde, die Chaya Mayor auf Zypern fand. Und erst eine Woche vor seinem Tod, so berichtet die 75-Jährige, habe ihr Vater ihr erzählt, dass er im Ghetto Stryi in Polen seine erste Frau und sein erstes Kind verloren hatte. "Er wollte, dass es jemanden in der Welt gibt, der weiß, dass sie existierten."

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