SZ-Adventskalender:"Mein Herz kriegt immer mehr Sprünge"

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Ein pharmazeutisch-technischer Assistent stellt in einem Reinraum individualisierte Zytostatika für die Chemotherapie her. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Maria W. kämpft seit Jahrzehnten allein gegen den Krebs - und seit ihrem Renteneintritt auch gegen die steigenden Lebenshaltungskosten.

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Die Antwort auf nur eine Frage hat Maria W. ( Name von der Redaktion geändert) mit einem Schlag das ganze Ausmaß vor Augen geführt: "Ich habe meinen Arzt gefragt, wie es denn anderen geht mit der gleichen Diagnose. Und da sagte er mir: Gar nicht, da lebt keiner mehr."

Als die heute Mittsiebzigerin mit 44 Jahren immer wieder mit gesundheitlichen Problemen kämpft, aus der Müdigkeit kaum mehr herauskommt, kein Kaffee, kein ruhiges Wochenende nach der harten Arbeitswoche mehr hilft und ihr Mediziner ein Erschöpfungssyndrom bescheinigen, denkt sie noch, dass es am Stress liegen könnte. Denn bis dato ist ihr Leben alles andere als einfach gewesen: Mit der Mutter gibt es immer wieder Konflikte. Beziehungen scheitern, Todesfälle im Freundeskreis reißen tiefe Löcher in das ohnehin schon dünne Netz an sozialem Halt und tiefe Wunden in ihre Seele. "Ich bin oft mit dem Tod konfrontiert. Mein Herz kriegt immer mehr Sprünge", beschreibt Maria W. die Verluste von Freunden und Familie.

(Foto: SZ)

Doch in einer Mischung aus Überlebensstrategie und Pflichtbewusstsein arbeitet Maria W. ihr Leben lang fleißig und zuverlässig, gibt anderen, was sie geben kann, und baut sich eine eigene kleine Existenz auf. Dass sie zunehmend erschöpft ist, schiebt sie zunächst eben auf ihre harte Arbeit und wenig Ruhepausen. Doch alle kleinen Tricks im Alltag, um wieder zu Kräften zu kommen, helfen nicht. Irgendwann stellen die Ärzte dann eine andere Diagnose: Krebs, in einer seltenen Form.

Maria W. gerät in den Strudel der Therapien: Chemo und Bestrahlung, dann eine Operation. Ein Jahr lang kämpft ihr Körper darum, sich von den Folgen zu erholen, dann ist der Krebs zurück und der Kreislauf beginnt von vorn. Da fragt sie ihren Arzt nach dem Vergleich und erfährt klipp und klar, dass die Prognosen gar nicht gut sind. "Damals lag ich auf der Couch nach der Diagnose und habe gebetet, lieber Gott, wenn ich sterbe, dann ist das gut." Sie habe ihre Krankheit angenommen, es akzeptiert, zu dem Zeitpunkt schon fast abgeschlossen mit allem. "Aber das Leben geht eben eigenartige Wege", weiß Maria W. Denn ihr Körper habe weitergemacht. Allen Diagnosen, allen anstrengenden Therapien zum Trotz, sie sei noch immer da. "Ich bin also noch für was da", sagt sie.

Tief in ihrem Inneren sitzt ein Kampfgeist und lässt sie nicht aufgeben, allen Widrigkeiten zum Trotz: Zweimal erhält sie eine Antikörpertherapie, die sich jeweils über zwei Jahre erstreckt. Der Krebs wird eine Zeit lang in Schach gehalten, doch diese Anstrengungen kommen mit einem heftigen Preis. Ihre Schlagader macht dicht, sie erleidet einen Herzinfarkt und ihr müssen sechs Stents eingesetzt werden. Der Arzt kann einen Pfropfen aus der Schlagader lösen, doch es bleiben Schäden, darunter mehrere Lähmungen.

Und dann ist da noch die Sache mit der Rente. Obwohl zunächst alles aussah, als wäre es mit den Renteneinzahlungen und ihrer Vorsorge in Ordnung, kam der Schock beim Renteneintritt: Weil sie in ihren letzten zehn Arbeitsjahren die Stunden gesundheitsbedingt reduzieren musste, tat sich eine Lücke auf. Ihre Beiträge zur Krankenkasse haben zudem um knapp ein Jahr nicht ausgereicht, weshalb sie sich heute weiterhin selbst versichern muss mit einem Beitrag von 265 Euro. "Da war ich so fertig, das können sie sich nicht vorstellen. Ich habe doch immer geschaut, dass ich einzahle, dass alles in Ordnung ist. Man ist krank, hat keine Kraft, und muss trotzdem kämpfen", beschreibt sie.

Viel Geld - die gesamten Rücklagen eines Lebens - seien an Ärzte gegangen, für Entgiftungen nach den Chemos beispielsweise. Deshalb ist für Maria W. heute nur noch das Nötigste möglich, was die mickrige Rente von knapp 1000 Euro abzüglich der Krankenversicherung und Miete eben zulässt. So bescheiden und demütig, wie Maria W. lebt, sind auch ihre Wünsche. Eine Brille nennt sie, und traut sich erst nach Zuspruch von einem kabellosen Staubsauger träumen, wer er eben leichter ist als andere Modelle. Dass einmal etwas leichter von der Hand geht, das wäre für Maria W. tatsächlich wünschenswert.

Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung Stadtsparkasse München, IBAN: DE86 7015 0000 0000 6007 00 ; BIC: SSKMDEMM

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