Wasserwirtschaft:Zwischen Baustelle und Amtsstube

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Für den Betrieb des Sylvensteinspeichers ist Bauoberrätin Andrea Kröner zuständig. (Foto: Manfred Neubauer/Manfred Neubauer)

Die Ingenieurin Andrea Kröner legt fest, wie viel Wasser aus dem Sylvensteinspeicher in die Isar fließt. Je nach Wetter kann das eine aufreibende Aufgabe sein. Sie behält den Überblick, auch wenn sie als Frau im technischen Beruf gerne einmal unterschätzt wird.

Von Quirin Hacker, Lenggries

Hinter Andrea Kröner schließt sich die meterhohe Eisentür. Elektrische Beleuchtung löst das Tageslicht ab, es riecht nach feuchter Kellerluft. Immer tiefer führt die Ingenieurin aus Weilheim hinein in den Tunnel, dessen Wände ein weißlich-grüner Film bedeckt. Über ihr türmt sich der 44 Meter hohe Damm des Sylvensteinspeichers, der die Last von bis zu 124,3 Millionen Kubikmeter Wasser tragen kann. Andrea Kröner ist für den Betrieb des Speichers zuständig.

Schließlich macht der Gang eine schroffe Linkskurve und gibt einen noch engeren Gang frei. Dort reihen sich Betonrohre kerzengerade aneinander. Neben dem Eingang befindet sich ein Wasserbecken. "Das hier ist der Sickerwasserstollen", sagt Kröner. "Alles Wasser, das es durch den Damm schafft, wird hier aufgefangen." Trotz der Wassermassen, die unablässig gegen den Wall drücken, ist es an diesem Tag nicht mehr als ein kleines Rinnsal.

"Mir gefällt es, wenn ich herauszoomen kann, um den Überblick zu haben."

Andrea Kröner ist seit 2017 als Beamtin für das Wasserwirtschaftsamt Weilheim tätig. Das betreibt und unterhält den Sylvensteinspeicher - oder den "Sylvie", wie der See in der Speicherverwaltung im Dachgeschoss des Wasserwirtschaftsamts gerne abgekürzt wird. Meist arbeitet Kröner dort in ihrem Büro. Heute ist sie jedoch vor Ort am Speicher. "Mir gefällt es, wenn ich herauszoomen kann, um den Überblick zu haben", sagt Kröner. "Ich wollte schon immer eine Stufe über dem ausführenden Ingenieur sein." Dazu passt ihr Beamtentitel: Bauoberrätin. "Aber auf der Baustelle kann damit niemand etwas anfangen." Wichtig sei diese Bezeichnung dagegen in der Welt der Ämter.

Kröners Arbeitsalltag in Weilheim beginnt um 8.30 Uhr. Zunächst liest sie die Prognose ihrer Kollegen aus der Meteorologie, wie viel Wasser die Zuflüsse in den Speicher tragen. Auf dieser Grundlage bestimmt sie, welche Wassermenge heute aus dem See fließen soll. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Sylvensteinspeicher stellen dann die Anlagen entsprechend ein. In Trockenphasen dürfen es nicht weniger als fünf Kubikmeter pro Sekunde sein, weil sonst das Ökosystem der Isar leidet. Bei Hochwasser darf der Durchfluss an einem Fixpunkt in Bad Tölz nicht 450 Kubikmeter pro Sekunde überschreiten. Das Festlegen des Durchflusses ist jedoch nur ein kleiner Teil ihrer Arbeit.

Im Sickerwasserstollen wird das Wasser aufgefangen, das es durch den Damm schafft. (Foto: Manfred Neubauer)

Die technischen Anlagen des Speichers müssen überprüft und gewartet werden, und davon gibt es eine ganze Menge. Wenn etwas optimiert oder saniert werden soll, beauftragt sie ihre Mitarbeitenden am Speicher oder eine externe Firma. Dann beantragt sie die Gelder dafür, plant die Maßnahme und beauftragt die Umsetzung. Im Damm sind über 50 Messwertgeber installiert. Kröner prüft anhand ihrer Daten, ob das Bauwerk stabil ist. Zum Speicher gehören noch zahlreiche weitere Anlagen, die Kröner überprüft und wartet. Zwei Hochwasserentlastungen sorgen dafür, dass Wassermassen im Ernstfall nicht über die Staumauer strömen, sondern kontrolliert abfließen. Außerdem gibt es noch einen Grundablass am Seeboden.

Der normale Durchfluss wird im Oberwasser des Sees entnommen und mit zwei Kraftwerken verstromt. "Das ist übrigens eine eher geringe Menge Energie, wenn man sie in Verhältnis zum Walchenseekraftwerk setzt", sagt Kröner. Zudem hat der Sylvensteinspeicher diverse Vorsperren an den Zuflüssen Isar, Walchen und Dürrach. Eine von ihnen ist die Stierschlagsperre, die die Dürrach aufstaut. "Diese Vorsperren halten mittransportierten Kies ab, sogenanntes Geschiebe", erklärt die Bauoberrätin. Das muss regelmäßig abgebaggert werden, wofür sie eine externe Firma beauftragt. An allen Zuflüssen und Abläufen sind Pegelanlagen installiert. An ihnen misst Kröner Wasserstand, Wassermenge und Trübung. Lagerflächen und uferbegleitende Wege gehören ebenfalls zum Sylvensteinspeicher und müssen gepflegt werden.

"Aber dann stellt sich heraus, ach so, das ist ja die Chefin."

Als Frau ist sie in ihrer Behörde in der Minderheit. Rund 70 Prozent ihrer Kollegen seien männlich, so Kröner. Das liege daran, dass vor 30 Jahren der Frauenanteil in MINT-Studiengängen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) gering war. In der Ausbildung und bei ihrer ersten Stelle sei sie die einzige Frau im Team gewesen. Bis heute wirke sich das auf die Geschlechterverteilung im Büro aus. "Wenn man als Frau in den Raum kommt, dann denkt erst einmal jeder, das ist die Auszubildende. Aber dann stellt sich raus, ach so, das ist die Chefin", beschreibt Kröner ihre Erfahrungen.

Beruf und Familie lassen sich für Andrea Kröner im Wasserwirtschaftsamt Weilheim gut vereinen. Ihre Stelle teilt sie sich mit einem Kollegen. (Foto: Manfred Neubauer)

Kurz darauf relativiert sie jedoch: "Aber ich sehe das nicht problematisch. Das kann man als Kompliment sehen, dass man für so jung und unbedarft gehalten wird." Auch bei Besprechungen merke man, ob Frauen anwesend seien. Die Gesprächskultur sei dann höflicher und die männlichen Kollegen würden beim Kaffee nicht so schlürfen. Von ihrem Arbeitgeber werde sie ob ihres Geschlechts nicht benachteiligt. Beruf und Familie ließen sich bei ihr gut vereinen, in dieser Hinsicht müsse sie den Freistaat "schon loben". Ihre Stelle teilt sie sich mit einem Kollegen. Deshalb kann sie schon um 13.30 Uhr Schluss machen und ihre Kinder abholen. Und an "Flexitagen" könne sie aus dem Homeoffice arbeiten. Wenn sie kurzfristig in ihrem Job einspringen muss, fängt die Familie dies auf, denn Mutter und Schwester wohnen ebenfalls in Weilheim. "Für junge Familien ist es die beste Stadt zum Leben", sagt Kröner über ihre Heimatstadt. Weil ihr Mann pendelt und Vollzeit in München arbeitet, könne er nur im Notfall einspringen.

Phasen mit Niedrigwasser gibt es im Sylvensteinstausee weit häufiger als Hochwasser. (Foto: Manfred Neubauer)

Bei Hochwasser hält ihr Beruf sie rund um die Uhr in Atem. Die schweren Hochwasser, die es seit 2017 gegeben hat, habe sie zwar verpasst, "weil ich immer rechtzeitig in Elternzeit gegangen bin", sagt Andrea Kröner. Trotzdem kennt sie die Abläufe genau. Die Hydrologie berechnet die Vorhersagen dann ständig neu, und die Ingenieurin passt bis zu zehnmal täglich den Durchlass an. "Davor muss ich den Speicher schon einmal absenken, damit der Stand niedrig ist", erklärt sie. "Dann lasse ich die Spitze reinlaufen und gebe kontinuierlich ab. Der Speichersee funktioniert wie ein Puffer." Häufiger als Hochwasser treten allerdings Niedrigwasserphasen auf. Das liege am ausbleibenden Schneefall, durch den die Schneeschmelze mild ausfällt. Außerdem seien die Abstände der trockenen Sommer kürzer geworden, sagt Kröner.

Die Bauoberrätin schließt die Metalltür und ist wieder am Tageslicht. Neben ihr wälzt sich grünes Wasser, das eben Durchlass und Turbine passiert hat. Wie viel Wasser hier Richtung Bad Tölz und München fließt, hat sie morgens festgelegt. Ihr ist es zu verdanken, dass im trockenen Sommer die Forellen nicht ersticken und bei Hochwasser die Keller trocken bleiben.

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