Serie "Hiergeblieben":Der Garten, der Weiher, der Wald

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Annelies Wiedenbauer-Schmidt und ihr Mann Herbert Schmidt fahren nie in den Urlaub. Sie wüssten nicht, warum sie das heimatliche Harmating verlassen sollten, und sei es nur für drei Tage.

Von Christa Gebhardt

Das Holzhaus von Annelies Wiedenbauer-Schmidt und Herbert Schmidt in Harmating hinter dem Schloss könnte auch im Freilichtmuseum Glentleiten stehen: antik, traditionell bayerisch, inklusive Stube mit Ofenbank und der zauberhaften alten Küche mit einem Herd zum Schüren. Rund herum Sitzplätze unter Bäumen, ein riesiger Blumen-und Gemüsegarten, Aussicht auf Wiesen und Wald, ab und zu ein Traktor, ansonsten himmlische Ruhe.

Auch am Meer würde sie ganz schnell Heimweh bekommen, da ist sich Annelies Wiedenbauer-Schmidt sicher. Und ihr Mann mag seinen Garten nicht alleine lassen. Verrreisen ist nichts für das Eherpaar, das in Egling lebt. (Foto: WOR)

Urlaub. "Wieso?" Herbert Schmidt findet es schwierig, die Frage zu beantworten, warum er und seine Frau nicht in die Ferien fahren, wenn alle weg wollen, allen voran seine ehemaligen Lehrerkollegen. "Die verreisen ja gerne und viel, die Lehrer, wegen der Kultur oder weil sie Schmetterlinge beobachten wollen..." Ehefrau Annelies bestätigt, das seien auch die, die sich im Rentenalter ein Seniorenstudium auftun; und überhaupt werde dem Herbert in Kirchen immer schlecht. Vom Nach-oben-Schauen. Schmetterlinge gäbe es in großer Vielfalt in Harmating.

"Wann waren wir im Urlaub?" Annelies schaut ihren Mann Herbert fragend an: "Ja, wart einmal, das ist noch gar nicht so lange her, im vorletzten Jahr, da waren wir doch mal zwei Tage am Weißensee in Österreich?", sagt er. "Stimmt", sagt sie, aber das sei "erzwungen" gewesen, ein Geschenk von den Kindern.

Annelies Wiedenbauer-Schmidt ist eine wunderbare Köchin, eine bodenständige Politikerin und eine sensible Homöopathin. Ihr Aprikosenkuchen ist zum Hineinlegen. Als Grüne sitzt sie im Kreistag und engagiert sich nach zwei Jahren im Umweltausschuss derzeit im Ausschuss für Jugendhilfe. Die Politik ruht im August. Aber als Heilpraktikerin betreut sie viele Patienten, und die rechnen mit ihr. Deswegen wäre Urlaub problematisch.

Herbert Schmidt ist nach einer intensiven Schulzeit als Mathematik- und Physiklehrer am Gymnasium pensioniert und genießt das in vollen Zügen. Der Physik gilt sein Interesse immer noch, "wahnsinnig interessant!" Auch die Mathematik liebt er, die philosophische Dimension ebenso wie die Schönheit der Zahlen. Und außerdem kommt er endlich auch zu dem, was er schon immer gern noch mehr machen wollte: Schreinern in seiner Profi-Werkstatt, den Gemüsegarten versorgen und autark sein. Die Tomatenpflanzen messen zwei Meter, die Gurken schießen in die Höhe, ihre vielen Früchte müssen jetzt eingemacht werden, genau wie die Johannisbeeren. Wer sollte das alles hegen und pflegen? Die drei erwachsenen Kinder samt Enkelkindern kommen zwar liebend gern regelmäßig ins elterliche "Bio-Hotel", aber seinen Garten umsorgt Herbert Schmidt lieber selber.

Außerdem muss er laufend nach seinen 15 streng geheimen Reherl-Plätzen im Wald schauen, Rad fahren, laufen, am Haus was ausbessern. Jeden Morgen um sechs im Harmatinger Weiher schwimmen, "der Sonne entgegen" , könnte Annelies Wiedenbauer-Schmidt auch nicht, wenn sie im Urlaub wäre. Geliebäugelt hat sie mal mit der Inselgruppe im Ärmelkanal, den Kanalinseln, "weil's schee kloa san!" Und weil man mit dem Zug hinkäme und der Fähre, obwohl die ja auch umweltschädliches Öl ablässt.

Der Zug wäre das einzige Verkehrsmittel, das ihr taugen könnte. Flugreisen gehen gar nicht, aus ökologischen Gründen. Da hat sie ihre Prinzipien. Eine Urlaubsreise mit dem Auto ist ihretwegen unmöglich, weil sie nicht gerne lange im Auto sitzt, für Herbert Schmidt deshalb, weil er, wie er sagt, mit dem Auto und der Annelies nicht vom Fleck kommt, denn schnell fahren darf er nicht, überholen auch nicht, und andauernd werde er gerüffelt, er habe mal wieder zu spät gebremst.

Aber der tiefste Grund für die Unlust zu reisen scheint genetisch bedingt. "Reisefieber? Des ham mir net." Wie die Eltern, denen Fernweh einfach fremd ist, sind zwei der Kinder ebenfalls Reisemuffel. Nur die Jüngste, Anna, war schon in Neuseeland, in Kanada und in Irland.

Annelies Wiedenbauer-Schmidt hat noch nie das Meer gesehen. Zwei befreundete Homöopathen aus Schleswig-Holstein bearbeiten sie seit Jahrzehnten, sie solle sie doch mal besuchen, damit sie ihr das Meer zeigen könnten. Nun wurden die Freunde massiv. Seither dreht und wendet sie den Gedanken an das Meer jeden Tag hin und her. Es ginge um drei Tage plus ein Anreise-und ein Abreistag.

"Heimweh! I woaß jetzt scho, dass i am zweiten Tag heim will!" Das lohne sich doch wirklich nicht. Sollte sie sich wider allen Erwartens entschließen, ans Meer zu fahren, käme ihr Mann auf gar keinen Fall mit. Denn schließlich hat er alles, was er braucht und liebt, vor der Nase: den Wald, die Weite, die Weiher. "Woanders kann ich auch nix anders machen." Und überhaupt: "Ich kenn' ja nicht einmal jeden Baum im nächsten Umkreis!" Warum sollte er da wegfahren?

© SZ vom 13.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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