Freizeit im Oberland:Die Kufen-Könige vom Kochelsee

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Der WSV Schlehdorf feiert demnächst das 100-jährige Bestehen. Früher gab es in dem kleinen bayerischen Ort eine Kunstrodelbahn, bei der auch internationale Wettbewerbe stattfanden. Heute ist noch das Zielhaus übrig, die Bahn selbst wurde wieder abgerissen. (Foto: Privat/oh)

Die kleine Gemeinde Schlehdorf wird in den 1970er-Jahren zu einem der großen deutschen Rodelsportzentren mit einer Kunstrodelbahn. Kurz vor dem hundertsten Geburtstag des Wintersportvereins erinnern sich Zeitzeugen an ein turbulentes Jahrzehnt. 

Von Arnold Zimprich, Schlehdorf

Hell zeichnen sich die Fenster des ehemaligen Zielhäuschens im Dunkel der Nacht ab. Von Weitem hört man gedämpftes Lachen und Stimmen, ein paar Stufen geht es noch hinauf - willkommen in der Welt der Schlehdorfer Rodler.

Inmitten zahlreicher Erinnerungsstücke an ihre Kunstrodelbahn schwelgen Manfred Heinle, 73, Ehrenmitglied Hubert Pfister, 74, Richard Kammerlochner, 60, Andreas Schnetzer, 57, Erwin Skrajewski, 48, und Andreas Zanker, 62, in Erinnerungen. Während sie in Alben blättern, lassen sie die Zeit, in denen die kleine Gemeinde Schlehdorf eines der großen deutschen Rodelsportzentren war, Revue passieren. Moment - Schlehdorf, ein deutsches Rodelsportzentrum?

Treffen im ehemaligen Zielhaus der früheren Rodelbahn (v.l.n.r.): Manfred Heinle, Hubert Pfister, Richard Kammerlochner, Andreas Schnetzer, Erich Skrajewski und Andreas Zanker. (Foto: Harry Wolfsbauer)

In der Tat: Südlich des Ortsteils Raut hat der Wintersportverein (WSV) Schlehdorf - in dem ungefähr die Hälfte der rund 1200 Schlehdorfer aktuell Mitglied sind - in den 1970er-Jahren Saison für Saison eine wettkampftaugliche Kunstrodelbahn aufgebaut.

"1968 ging der Bau los", berichtet Manfred Heinle, der im Vorstand des WSV saß. "Ohne Bürgschaften von Privatleuten hätten wir das nicht geschafft. Die Bahn hat mehr als 250 000 Mark gekostet". Für die Kurven musste betoniert werden, "für die Banden haben wir Eis gebrochen im Karpfsee". Zu Beginn wurde das Eis noch mit Pferdefuhrwerken herangeschafft, später mit dem Pritschenwagen. Alles haben die Schlehdorfer getan, um die Bahn betriebsbereit zu machen und zu halten. "Die Leute haben Tag und Nacht gearbeitet, und auch die Kinder durften lange aufbleiben, wann konnte man das schon?", so Heinle. Das Dorf stand kopf.

Bei Wettbewerben strömten sehr viele Besucher nach Schlehdorf. (Foto: Privat/oh)
Das Herrichten der Kunstbahn konnte nur mit sehr vielen Freiwilligen bewältigt werden. (Foto: Privat/oh)
Die Kurven der Rodelbahn im Bau. (Foto: Privat/oh)

Sepp Lenz, Rodelsport-Legende und langjähriger Rodel-Bundestrainer aus Königssee, legte selbst Hand an, die Linienführung der Bahn ging auf sein Know-how zurück. Sogar eine Schneekanone hatten sie im Einsatz, "von Linde", wie Heinle berichtet, auch eine Flutlichtanlage und eine Wasserleitung wurden gebaut.

Der frühere Bahn-Verlauf. (Foto: Privat/oh)
Die Kunstrodelbahn im Winter. Inzwischen ist sie abgerissen. (Foto: Privat/oh)

Im Januar 1971 fand auf der Schlehdorfer Bahn das erste Mal die Deutsche Meisterschaft statt. Die Post richtete ein Sonderpostamt mit Sonderstempel ein, die hohe Politik gab sich ein Stelldichein, Grußwort von Hans-Dietrich Genscher inklusive. Mit Stolz blicken die Schlehdorfer auf diese Ära zurück. Schließlich spielte - oder besser rutschte - man in einer Liga mit den Königsseern. Naturrodelbahnen wie in Kreuth oder Bad Feilnbach konnten da nicht mithalten. Heinle reicht Bilder herum - dicht an dicht drängten sich die Menschen an der Bahn, verwandelten Schlehdorf in ein Rodelsportmekka.

Dicht an dicht drängten sich die Menschen an der Bahn. (Foto: Privat/oh)

Richard Kammerlochner nahm damals an den Wettbewerben teil. Seine Erfolgsbilanz, beeindruckend: Südbayerischer, bayerischer und deutscher Schülermeister wurde er, "1982 habe ich als 19-Jähriger aufgehört", sagt Kammerlochner. Er erinnert sich, wie eine Schlehdorfer Abordnung zu Wettbewerben zur Rennrodelstrecke ins Tiroler Igls fuhr, zu fünft mit Sportsachen in einem zweisitzigen Sportwagen.

Wenn man von den Erfolgen spricht, darf ein Name nicht fehlen: Elisabeth Demleitner. Die gebürtige Kochlerin trainierte und rodelte in Schlehdorf, 1971 wurde sie Weltmeisterin in Olang in Südtirol, 1976 holte Demleitner bei den Olympischen Spielen in Innsbruck hinter zwei Konkurrentinnen aus der DDR die Bronzemedaille. In Lake Placid 1980 reichte es für Platz vier. Sechsmal in Folge wurde Demleitner in den 1970er-Jahren Deutsche Rodelmeisterin. Überhaupt seien Frauen "von Beginn an dabei gewesen", sagt Manfred Heinle, der ehemalige Zweite Vorsitzende des WSV. Leider bestehe kein Kontakt mehr zu Demleitner, sagt er, die Bronzemedaillengewinnerin wohnt schon seit Längerem im Landkreis Garmisch-Partenkirchen.

Viele junge Wettbewerber stürzten sich mit ihren Rodeln die Bahn herunter. (Foto: Privat/oh)

Ein Jahrzehnt lang pilgerten die Rodelfans nach Schlehdorf, es fanden internationale Wettbewerbe statt, "wir hatten auch russische Sportler zu Gast". War die Bahn zu einem Renntermin mal nicht einsatzbereit, wich der WSV auf die Königsseer Bahn aus, die auch zum Training genutzt wurde. "Wir sind um fünf weg, um von acht bis zwölf in Königssee trainieren zu können, und am Nachmittag wieder heim", sagt Kammerlochner. "So einen Aufwand würde man heute doch gar nicht mehr betreiben!"

Eine alte Postkarte erinnert an die Kunstrodelbahn "Kochelsee" in Schlehdorf. (Foto: Privat/oh)
Ein Bild vom Start der Herren. (Foto: Privat/oh)
Jeder Wettbewerb wurde zum Ereignis in der kleinen Gemeinde. (Foto: Privat/oh)

Am Ende waren es die klimatischen Bedingungen, die der Bahn den Garaus gemacht haben. Alles wurde versucht, die mühsam aufgebaute Bahn mit Sonnensegeln beschattet, doch es hat nichts geholfen. Auf der Leeseite des Heimgartens fiel der Föhn, oder Sunnawind, wie man hier sagt, auch schon in den frühen 1980er-Jahren zu heftig über das Eis her. Es hat schlichtweg keinen Sinn mehr ergeben, die ganze Arbeit nur für ein paar Tage Rodeln. Und noch etwas kam dazu. "Die Schlitten sind so gut geworden, dass die Bahn fast nicht mehr fahrbar war." Die Sportgeräte wurden zu schnell - und auch Kammerlochner erinnert sich, wie er einst aus der Kurve flog. "Am Abend habe ich mit dem Strohhalm getrunken." Ein paar Zähne fehlten.

Das Ende der Bahn bedeutete jedoch nicht das Ende des Rodelsports in Schlehdorf. WSV-Abordnungen fuhren weiterhin zu Wettbewerben, besonders stolz ist der Erste Vorsitzende Erwin Skrajewski heute auf die Hornschlitten-Abteilung mit "rund 40 aktive Frauen und Männern". Am Hang hinter dem Zielhäuschen rodeln Jahr für Jahr noch die Schlehdorfer Familien. "Kommst mal zum Rodeln vorbei?", fragt Schriftführer Andreas Schnetzer. Die Rodelleidenschaft, sie gehört offenbar zur Schlehdorfer DNA.

"2003 haben wir das letzte Mal die Beleuchtung eingeschaltet", erinnert sich Schnetzer. Dann kehrte Ruhe ein - und ein wenig Wehmut macht im Zielhäuschen breit. Wie gut, dass der WSV nächstes Jahr einhundert Jahre alt wird. Dann wird wieder gefeiert in Schlehdorf.

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